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RauschenAbschlussarbeit von Tobias Rehnim Bereich Visuelle Kommunikationan der Kunsthochschule KasselTheoretischer Teil – Signal2008
Rauschen„PALx“, ein Projekt, das ich während meiner Studienzeit begonnen habe, beschäftigt sich mit der Tatsache, dass auf einem Fernseher nicht unendlich vieleBilder dargestellt werden können. Für dieses Projektwurden alle darstellbaren Bilder nach einer gewissen Ordnung, in einer Reihe, beginnend mit einemschwarzen Bild und alle möglichen Kombinationendurchlaufend bei einem weißen Bild endend, durchnummeriert und die Bilder anhand ihrer zugewiesenen Nummer berechnet.Die meisten Bilder, die ich aus den unterschiedlichsten Zahlen errechnet habe, stellten zu meineranfänglichen Enttäuschung nichts anderes als Rauschen dar. Der Versuch, ein „richtiges“ Bild zu erhalten, wurde bis heute noch nicht von Erfolg gekrönt,aber das Interesse an dem, was sich mir mit jedemneuen Ergebnis aufdrängte, wuchs nach und nach.Es stellte sich die Frage, was die Ursache dafür ist,dass man mit den unterschiedlichsten Zahlen meistnur Rauschen erhält; oder ob es mehr Bilder gibt, dieetwas darstellen oder mehr, die Rauschen enthalten? Aber vor allem ergab sich die Frage: Was genauist Rauschen?PAL33333 33333Zu Beginn der Recherchen zum Thema stand dasleicht naive Verständnis, Rauschen gäbe es nur beider elektrischen Verstärkung in der Stereoanlage, inder Telefonleitung oder beim Fernseher, wenn mandas Antennenkabel abzieht. Doch sehr schnell zeigte sich, dass Rauschen in sämtlichen Aspekten unseres Lebens, der Natur und der Technik eine Rollespielt. Wenn wir die Augen schließen sehen wir keinetiefschwarze Fläche, sondern ein leichtes optischesRauschen, das durch die unterschiedliche Empfind-lichkeit der Rezeptoren im Auge zustande kommt.Das Rauschen des Verkehrs, der Blätter im Wald– auch das Rauschen im Blätterwald – also Rauschen sowohl auf formaler als auf inhaltlicher Ebene. Selbst in den Geistes- und Naturwissenschaftenfindet sich auf theoretischer Ebene die Einbeziehungdes Phänomens. So geht zum Beispiel der Soziologe Niklas Luhmann in seiner Systemtheorie, bei derer die Gesellschaft anhand von auf Kommunikationberuhenden Systemen und deren Wechselwirkungenuntereinander beschreibt, so weit zu behaupten,„ohne ‚noise‘ kein System“.Die Vielfältigkeit, die man bei der Betrachtung vonRauschen findet, zeigt sich alleine schon bei demVersuch, den Begriff zum Beispiel ins Englische zuübersetzen. Die meisten Wörterbücher liefern mit„brawl“, „murmur“, „noise“, „sough“, „swoosh“, „whirring“, „signal noise“ und „hissing“ bis zu acht englische Vokabeln für das deutsche Wort „Rauschen“,wobei jede dieser einzelnen Übersetzungen nur ineinem bestimmten Zusammenhang, zum Beispiel derÜbertragungstechnik, Gültigkeit besitzt. Aus diesemGrund wird sich diese Arbeit bei der Betrachtung desRauschens nicht mit sämtlichen Ausformungen desPhänomens beschäftigen können.Eine der Kernfragen, die ich mir im Laufe der Recherche in Bezug auf das Studium der Visuellen Kommunikation und speziell des Grafik-Designs gestellt habe,und die mich so auch zu einer praktischen Arbeitmeines Abschlusses geführt haben, ist folgende:Kann Sprache, oder gar Schrift, das geschriebeneWort rauschen?
Was ist Rauschen eigentlich?Oberflächlich betrachtet wird Rauschen als einakustisches Phänomen verstanden, bei dem sicheine Vielzahl von Lauten und Geräuschen überlagernund dessen Herkunft für den Hörer nicht eindeutigbestimmt werden kann. So kann das Rauschen nichteinem bestimmten Ereignis oder Gegenstand zugeordnet werden, sondern nur einer Vielzahl von Gegenständen oder dem Gegenstandslosen an sich.Ganz gleich welche Form des Rauschens betrachtetwird, sei es das Rauschen der Blätter eines Waldesim Wind oder eines Baches, genauso wie das Rauschen des Verkehrs oder das Rauschen in jeglicherForm von elektrisch betriebenen Geräten, allen Formen des Rauschens ist gemein, dass es nicht möglich ist, diesem distinkte Laute zu entnehmen. Esbleibt ungeordnet, chaotisch und ohne Sinn.Wie soll aber Sprache, nach der oben gelieferten Beschreibung von Rauschen mit all der sie ordnendenGrammatik, mit all ihrer Distinktion und vor allem mitall dem durch sie ergebenden Sinn rauschen können?Und wie kann dann Schrift, die aufgezeichnete Sprache mit ihren im lateinischen Schriftsystem nur 26distinkten Zeichen, rauschen können, wenn sich diese Frage schon bei der Sprache stellt?Sucht man nach der Verwendung des Wortes Rauschen in Texten, findet man in der Literatur der Romantik eine erste Blütezeit der Beschreibung desRauschens als (über)natürliches Phänomen, demRauschen der Wälder und des Meeres. So schreibtHeine in seinem Buch der Lieder beispielsweise„Branden die Wellen, die wilden Wellen; / Sie rauschen und murmeln / Mir heimlich ins Ohr“ und E.T.A.Hoffmann beschreibt, wie „flüsternd und rauschendwunderbare Stimmen durch Baum und Gebüsch“ gehen.In diesen Beispielen finden sich mit „flüstern“ und„murmeln“ Verben, die klar der Sprache zugeordnetwerden müssen. Im zweiten Beispiel schreibt E.T.A.Hoffmann sogar explizit von „wunderbaren Stimmen“.Zu dieser Zeit schon wurde das Rauschen also nichtnur als sinnloses Geräusch verstanden.Zu Beginn des 20. Jahrhunderts begann Carl Stumpfmit der wissenschaftlichen Untersuchung der deutschen Sprachlaute. Er kam dabei unter anderem zudem Ergebnis, dass es sich beim Flüstern um nichtklar unterscheidbare Laute handelt, da beim Flüsternfür die Lautunterscheidung wichtige Frequenzbereiche fehlen. Demnach ist Flüstern nur ein Gemischvon Geräuschen, was ebenso für das Rauschen zutrifft. So kann es also sein, dass sich sinnloses Rauschen sehr wohl als Sinn verheißendes Flüstern entpuppt. Hiermit soll nicht gesagt werden, besser mitdiesem Wissen kann nicht gesagt werden, dass sichRauschen und Flüstern, bzw. Sprache entsprechen.Vielmehr bedeutet dies, dass das Rauschen, seineroffensichtlichen Sinnlosigkeit zum Trotz Sinn beinhalten kann. Zum Beispiel soll eine gewisse Anzahlvon Sprechern, die gleichzeitig sprechen, betrachtetwerden. In den Anfängen der Dada-Bewegung wardies zum Beispiel bei Vorträgen des so genanntenSimultangedichts zu beobachten. Hierbei wurdeversucht durch die gleichzeitige Überlagerung vonWorten und Geräuschen jeglichen Sinngehalt des Gehörten zu verwischen. So ist es also egal, ob es sichum verständliche Texte oder sinnloses Gemurmelhandelt, es ist nicht möglich, dem dabei entstehenden Rauschen einen Sinn zu entnehmen. Dennoch istes möglich, dass auch nur einer der Sprecher einenText spricht und so das Rauschen Sinn enthält, bzw.Sprache rauschen kann, dies soll in dieser Arbeitaber nur von sekundärem Interesse sein. Roland Barthes spricht in diesem Zusammenhang davon, dassdie Sprache „denaturiert wäre, bis sie ein immenseslautliches Geflecht bildet, in dem der semantischeApparat irrealisiert wäre“.
KANN SCHRIFT RAUSCHEN?Lassen sich diese Gedanken zum Rauschen derSprache auch auf ein Rauschen der Schrift oder desgeschriebenen Wortes übertragen? Friedrich Kittlersagt, dass sei nicht möglich, da ein Schreiben vonTexten, das Speichern von Lautsequenzen mittelsdistinkter Zeichen ist. Dies schließt für ihn das Aufnehmen von Geräuschsequenzen aus. Somit können,laut Kittler, Schrift bzw. ein Text selbst nicht rauschen, sondern das Rauschen nur benennen.Da dieser Behauptung nur schwerlich zu widersprechen ist, wird klar, dass nur mit den Mitteln desSchriftcodes, wie wir ihn kennen und einsetzen, dasZiel einer rauschenden Schrift oder eines Rauschenerzeugenden Textes nicht ohne weiteres erreichtwerden kann.Welche Änderungen oder Erweiterungen des Schriftcodes sind nötig, um dies doch zu bewältigen?Um diese Frage beantworten zu können, soll dieSpeicherung von Musik in verschiedenen Formen betrachtet werden, um die dabei gewonnenen Erkenntnisse auf die Sprache und die Schrift zu übertragen,da sich Sprache und Musik, als auch die Notation vonMusik in Notenform und das Aufschreiben von Sprache mit Schrift grundlegend ähneln.Bei der Aufzeichnung von Musik gab es eine Phase,in der der Schall hauptsächlich analog auf Schallplatten und auf Magnetbändern gespeichert wurde.Vor und nach dieser Phase nutzten die Speichermedien für Musik diskrete Zeichen. Vor der analogen Aufzeichnung wurden Noten benutzt und nachihr die digitale Speicherung der Musikinformation.Der Hauptunterschied zur analogen Speicherung isthierbei, dass bei der Nutzung von Noten und digitalen Speicherformen (zum Beispiel der Audio-CD) dieInformationen mittels eines beschränkten Zeichenvorrats codiert werden und entweder von Musikernoder Prozessoren und Programmen interpretiert werden müssen, um wieder in ein analoges Musiksignalübersetzt werden zu können.In Notenform ist es ähnlich der Schrift nicht möglichRauschen aufzuschreiben, da die Notation an dasTaktschema der halbierten Zeit (ganze, halbe, viertelNote, usw.) und die Harmonik der Halbtöne, also einen begrenzten Zeichenvorrat, gebunden ist.Gegensätzlich zu den mit diskreten Zeichen arbeitenden Systemen notiert die analoge Speicherungden Schall lediglich, ohne ihn zu codieren. Im Unterschied zu Noten und dem in gewissen Zeitabständengesampelten Signal auf einer Audio-CD, wird also aufanalogen Speichermedien analog zu der Zeit gespeichert, in dem das zu speichernde Phänomen (hierSchall) auftritt und kontinuierlich wieder abgegeben,wenn das Medium abgespielt wird. Die Speicherungauf diesen Medien ist also weder zeit- noch wertdiskret. Deswegen ist auch keine Interpretation bei derWiedergabe notwendig bzw. möglich. Dies hat zumVorteil, dass das ursprüngliche Signal sehr genauwiedergegeben werden kann, die Methode ist dabeiaber auch sehr anfällig für Rauschen, da keinerleiUnterscheidung getroffen werden kann, was ursprünglich als Signal erwartet wurde und was nicht.Wie kann man diese Erkenntnis nun auf die Schriftübertragen, die für das Speichern von Sprache genutzt wird? Wie kann man die rauschende Versioneines Textes mittels Schrift niederschreiben?
KANN SCHRIFT RAUSCHEN?KANNSCHRIFTRAUSCHENDas Wort Grammophon setzt sich aus den Worten„grame“ (Schreiben) und „phon“ (Ton) zusammen;ebenso werden die verschiedenen Arten, in der dieMusikinformation auf einer Schallplatte gespeichertwerden, in der Tat als Schriftarten bezeichnet (eswerden die so genannte Tiefen- oder Vertikalschrift,die Seitenschrift und die Flankenschrift unterschieden). Diese Namensgebungen sollen nicht als Argument, sondern eher als Anregung dienen, den Versuchzu unternehmen, die Charakteristika der analogenMusikspeicherung auf den zur Speicherung von Sprache genutzten Schriftcode zu übertragen.Als erstes steht hierbei die Überlegung, sämtliche,den Rhythmus des Lesens ordnende Zeichen undKonventionen zu löschen und auf diese Weise einenununterbrochenen, linearen Fluss an Informationenzu schaffen. So muss eine Schrift, die rauscht, ohneInterpunktion, Leerzeichen zwischen den Worten undohne Abstand zwischen den Buchstaben geschriebenwerden. Bei einem geübten Leser wandert der Blicknicht linear über die Zeile und erfasst jeden Buchstaben, sondern überspringt Bereiche, die dann aufgrund bekannter Buchstabenfolgen einer Sprache zuWorten ergänzt werden. Bei diesem Vorgehen wirdder Blick des Lesers durch den Abstand zwischenden Buchstaben und Worten geleitet. Durch die Tilgung der Wort- und Buchstabenabstände wird diesesVorgehen erschwert, wenn nicht verhindert und soein linearer Lesefluss erzwungen.Doch erschwert eine solche Schreibweise nicht nurdas Lesen eines Textes, der so aber immer noch offensichtlich den ursprünglichen Sinn enthält, da unter anderem diese Schrift weiter auf dem gleichenbeschränkten diskreten Zeichenvorrat beruht?Dies führt zu einer weiteren Überlegung und einerSystematik, in der die verwendeten Zeichen derSchrift modifiziert und in ihrer Unterscheidbarkeiteingeschränkt werden müssen.Für die Findung dieser Systematik dient eine Anleiheaus der Akustik, das weiße Rauschen, sowie eine ausder Signaltheorie, der Signal-Rauschabstand. WennSchall über sämtliche Frequenzen, die wahrgenommen werden können, also über das gesamte hörbareSpektrum, gleichzeitig abgesondert und vom Ohr vernommen wird, hört man etwas, das als „weißes Rauschen“ bezeichnet wird. Der Signal-Rauschabstandbezeichnet die Anteile von Nutzsignal und Störung /Rauschen innerhalb eines beobachteten Kommunikations-Kanals. Je höher der Signal-Rauschabstand,desto genauer lässt sich das Signal verstehen, jeniedriger der Abstand, desto weniger lassen sich Signal und Störung unterscheiden.
KANN SCHRIFT RAUSCHEN?KANNSCHRIFTRAUSCHENBetrachtet man das Alphabet, kann man die Mengealler seiner Buchstaben als zur Verfügung stehendesSpektrum bezeichnen. Als Analogie zur Gleichzeitigkeit werden die Buchstaben überlagert geschrieben,um so im Lesefluss gleichzeitig wahrgenommen zuwerden. Der Signal-Rauschabstand gibt an, wie weitman sich von dem eigentlichen Signal entfernt. Eswerden in der am geringsten rauschenden Version,also dem höchsten Signal-Rauschabstand, die beiden benachbarten Buchstaben des Zeichens, das dasSignal darstellt, ausgewählt. So besteht zum Beispieldas am nähesten an einem „B“ verortete Rauschenaus einem überlagerten, transparenten „A“ und „C“.Der ursprüngliche Buchstabe wird ausgespart, da esdie Absicht ist, Rauschen zu erzeugen bzw. darzustellen. Je niedriger der Signal-Rauschabstand wird,desto mehr benachbarte Buchstaben werden mit denvorangegangenen überlagert. Beim größtmöglichenAbstand der dargestellten, rauschenden Version unddem ursprünglichen Text liegen dann die übrigen 25Buchstaben übereinander.Durch die verwendete Transparenz entstehen an denübereinander liegenden Flächen völlig neue Formen,jedoch lässt sich das Ergebnis klar als Schrift erkennen, so dass von einer rauschenden Schrift – odereher einem rauschenden Schriftbild gesprochen werden kann, da nicht vollends klar ist, wie diese Schriftgelesen werden soll – gesprochen werden kann. Diese Schrift würde sowieso in dem Moment, in dem siegelesen werden kann und sich aus dem Geschriebenen Sinn ergibt – in welcher Form auch immer – alleErwartung, die in sie gesetzt wurde, enttäuschen, dain diesem Moment das gewollt Unbezeichenbare bezeichnet wäre.Interessant an dem eben Beschriebenen ist, dass dieErwartungshaltung, ebenso wie die Absicht, ein gewichtiger Faktor bei der Betrachtung des Rauschensist. Sobald nämlich das, was allgemein als Rauschenverstanden wird, nämlich das Rauschen als Störgröße, erwartet wird oder man verstehen lernt, darausSinn zu decodieren, verliert das Rauschen seinenbisherigen Status.Als Beispiel soll hier John Cage, einer der weltweiteinflussreichsten Komponisten des 20. Jahrhunderts, genannt werden. Er beschreibt ein Erlebnis,das sich in einem schalltoten Raum (ein Raum derso gut akustisch isoliert ist, dass kein Geräusch inihn dringen kann, und der alle in ihm entstehendenGeräusche bis auf ein technisch mögliches Minimumabsorbiert) an der Harvard-Universität zugetragenhat. Er hörte wider seiner Erwartung zwei Geräusche,das eine war sein Nervensystem und das anderedas Blut, das durch seine Adern floss. Diese Erfahrung sollte seinem Leben eine Richtung geben, dieer als „exploration of nonintention“ bezeichnet, wassich in etwa mit „Erkundung der Absichtslosigkeit“übersetzen lässt. Er entschied sich also auf dasTreffen von Entscheidungen zu verzichten und diesefür eine Vielzahl seiner Kompositionen zum Beispieleinem Mechanismus der chinesischen Zahlenmystikzu überlassen, dem „I Ching“. Beim Schreiben vielerseiner Texte, bei denen er Worte in einer Systematikverschiebt, so dass sich in der Vertikalen ein neuesWort ergibt, lässt er ein Computerprogramm die ambesten passenden Worte für die horizontale Ebeneaussuchen. So kann er sich von allem befreien, vonseinen Erinnerungen, von dem was er leiden und dem,was er nicht leiden kann, was ihn in seinen Entschei-
In einem Interview spricht John Cage unter anderemüber das, was ihn an „sound“ fasziniert, und welche„sounds“ er besonders mag. Es spricht darüber, dassihn der Klang von Verkehr fasziniert, weil er immerneue Formen hervorbringt und diese sich nie wiederholen. In diesem Zusammenhang erwähnt er, dass erden Klang von Verkehr den Werken von Mozart undBeethoven vorzieht, da diese für ihn vorhersagbar undimmer gleich seien. Interessant an diesem Interviewist im Besonderen, dass John Cage in Bezug auf denKlang des Verkehrs nicht einmal das Wort „noise“benutzt, was nach der anfänglichen Definition vonsich überlagernden Geräuschen, die man nicht einemgewissen Gegenstand zuordnen kann, entsprechenwürde. Er spricht immer von „sound“. Dies zeigt deutlich, dass es bei entsprechender Erwartungshaltungmöglich ist, dass sich aus dem, was konventionellals Rauschen angesehen wird, Sinn ergibt; in diesemFall Hörgenuss.Rauschen in Code oder Sinn wäre es nicht möglich,Neues, egal welcher Form, zu schaffen bzw. zu entdecken. Als doppelte Kontingenz, einem Begriff ausder soziologischen Systemtheorie, wird ein Vorgangbezeichnet, bei dem Kommunikation zwischen zweiKommunikationspartnern, die nicht über die gleichenCodes verfügen und durch gegenseitige Beobachtungeine gemeinsame Erweiterung der ihnen zur Verfügung stehenden Codes aushandeln, ermöglicht wird.Dies lässt sich sehr gut anhand der Jazzmusik beobachten. Ohne analoge Speicherformen, wie der derSchallplatte, wäre es nicht möglich gewesen, eineMusik mit derart extremen rhythmischen Betonungsverschiebungen (Synkopen) aufzuzeichnen, die inNotenform nicht oder nur unter großen Schwierigkeiten notiert hätten werden können. Hierbei handelt essich um die eben erwähnte Überführung des zeitlichzwischen dem diskreten Zeittakt der Noten liegenden Rauschens in Code. Gemeint sind hier die dannerwarteten rhythmischen Kapriolen der Jazzmusik.Obwohl der Jazz noch an der Harmonik des Notensystems festhielt und dieses als Basis für Improvisation benutzte, ließ die Schallplatte noch viel mehrzu, nämlich die Aufzeichnung von allen Tonhöhen, diezwischen den Halbtönen der klassischen Harmonikliegen. Auf Partituren von John Cage lässt sich erkennen, wie diese durch neuartige Notationsformenadressiert werden können.Eine solche Erwartungshaltung oder auch die bloße Entscheidung, sich mit Phänomenen des Rauschens auseinanderzusetzen, ist unumgänglich fürneue Erkenntnisse. Denn ohne die von Luhmann als„doppelte Kontingenz“ bezeichnete Überführung vonDurch das Zeichnen von durchgezogenen Strichenüber die klassischen Notenlinien, die eine Verortungder auf ihnen notierten Zeichen als Notation von Musikinformation zulassen, werden sowohl die Zeit, alsauch die Tonhöhe in ihrem vollen Umfang genutzt.dungen oder Erwartungen beeinflussen würde. JohnCage hat also für sich die Entscheidung getroffen,keine Entscheidungen mehr selbst zu treffen. So befreit er sich auch davon, etwas Spezifisches als Ergebnis dieser Vorgehensweisen erwarten zu können,also auch nicht auftretende Text- oder Klangpassagen als unerwünscht, als Fehler, als Störung oder alsRauschen ausmachen zu können.
Nach all diesen Überlegungen eröffnet sich nach derFrage, ob Schrift rauschen kann, ein weiterer wichtiger Gedankengang. Wenn man die oben beschriebene,rauschende Schrift als hauptsächlich auf formalerEbene Rauschen erzeugend ansieht, da sie keinen Inhalt transportiert – der in einem ursprünglichen Textenthaltene Sinn ist durch das Rauschen der Schriftbis zur Unkenntlichkeit verwischt worden – drängtsich die Frage auf, ob es möglich ist, Rauschen auchauf inhaltlicher Ebene, sei es in klanglicher oder inbildlicher Form, abzubilden? Eine klare Grenzziehungzwischen formaler und inhaltlicher Ebene erscheintmir bei der Betrachtung des Rauschens noch schwieriger als bei klar Inhalt transportierenden Phänomenen, dennoch soll die rauschende Schrift hier als primär formal rauschend angesehen werden.Wie kann es aber erreicht werden, dass Rauschen alsInhalt wahrgenommen wird? Wenn die Überlegung,dass Rauschen als Ergebnis einer gewissen Erwartungshaltung angesehen werden kann, dann mussgesagt werden, dass dies nicht definitiv möglich ist.Es kann nur versucht werden, ein allgemein als Rauschen bekanntes Geräusch oder Bild in einem Raumoder zu einer Zeit zu platzieren, an dem es als Inhaltrezipiert werden muss.Einen solchen Versuch soll folgendes Beispiel liefern. Ein aus mehreren Gründen für das Abbilden vonRauschen prädestiniertes Medium, das gleichzeitigeinen Raum darstellt, der mit der Distribution vonInhalt verknüpft wird, ist die Rille einer Schallplatte.In diesem Fall soll sich beim Rauschen auf das derSchallplatte eigene Störgeräusch, dass durch mikroskopische Unebenheiten der Oberfläche und durchelektrostatische Entladungen beim Abspielen entsteht, beschränkt werden.Der Versuch, das Rauschen zum Inhalt zu machen,besteht nun darin, dieses Rillen-Grundgeräusch, dassich am besten am Anfang und am Ende jeder Schallplattenseite hören lässt, da hier, in der Ein- bzw. Auslaufrille kein Musiksignal gespeichert ist, und so das„reine Plattenrauschen“ zu finden ist,in den Raum zu verschieben, der normalerweise fürden Inhalt reserviert ist. Der Abschnitt der Plattezwischen Ein- und Auslaufrille.So ist das Rillen-Grundgeräusch zum Signal bzw.Inhalt geworden, da die Entscheidung getroffenwurde, dieses bewusst an einem Ort zu platzieren,an dem sonst kein Rauschen erwartet wird, nämlich zwischen benannter Ein- und Auslaufrille einerSchallplatte. Gegen die Idee, eine Schallplatte miteiner leeren Rille zu beschreiben und nur das Grundgeräusch der leeren Rille als Inhalt anzunehmen,spricht folgendes: Beim Betrachten einer solchenPlatte würde, durch das Fehlen der Pausenrillen zwischen einzelnen Titeln und der gleichmäßigen Lichtbrechung einer leeren Rille noch vor dem Abspielender Platte offensichtlich, dass diese eigentlich keinen Inhalt in sich trägt.Ob diese Überlegung jedoch bei jedem Zuhörer, derdiese Platte abspielt, die Assoziation auslöst, dasssich hier Rauschen auf inhaltlicher Ebene zuträgt,lässt sich sicherlich nicht eindeutig voraussagen, daes wiederum auf die individuelle Erwartungshaltungan das Gehörte und dessen Wahrnehmung ankommt.So zeigt sich, wie vage jeglicher Versuch der genaueren Betrachtung, Beschreibung und bewusstenErzeugung von Rauschen sein muss. Zum Einen istman an spezifische Absichten gebunden, zum anderen scheint das, was man als Rauschen annimmt, indem Moment, in dem man es zu fassen glaubt sichdeshalb seiner Gestalt des Chaotischen und Ungeordneten zu entledigen und nicht mehr wirklich Rauschen zu sein.In Hinblick auf die anfangs erwähnten verrauschtenBilder des PALx-Projekts hat mir diese Erkenntnis erlaubt, meine Erwartungshaltung an die errechnetenBilder zu überdenken und diese nicht mehr als ganzso verrauscht anzusehen.Tobias Rehn, 2008
LiteraturverzeichnisRoland BarthesDas Rauschen der Spracheedition Suhrkamp, erste Auflage2006John CageI – VIHarvard University Press1990Stefan HeidenreichRauschen, filtern, codieren –Stilbildung in Mediensystemerschienen in: Das Rauschen. Verlag die Wolke, Graz1995Hrsg. Friedrich Kittler, Thomas Machound Sigrid WeigelZwischen Rauschen und OffenbarungAkademie Verlag Berlin2002Katja StopkaSemantik des Rauschensm-press2005Katalog zur gleichnamigen Ausstellungdes RealismusStudio in der NGBK, BerlinAuflösung2006
In diesen Beispielen finden sich mit „flüstern“ und „murmeln“ Verben, die klar der Sprache zugeordnet werden müssen. Im zweiten Beispiel schreibt E.T.A. Hoffmann sogar explizit von „wunderbaren Stim-men“. Zu dieser Zeit schon wurde das Rauschen also nicht