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Expertise zur Beurteilung der wissenschaftlichen Evidenzdes PsychotherapieverfahrensHypnotherapieEntsprechend den Kriterien desWissenschaftlichen Beirats Psychotherapie(§ 11 Psychotherapiegesetz)vorgelegt vonDirk RevenstorfUniversität TübingenJanuar 2003Im Auftrag derMilton Erickson Gesellschaft für klinische Hypnose(MEG)undDeutschen Gesellschaft für Hypnose (DGH)
Expertise HypnotherapieVorbemerkungIn dieser Expertise wird der Versuch unternommen, die empirische Basis derHypnotherapie zu dokumentieren. Der Schwerpunkt der Darstellung liegt auf denEffektivitätsnachweisen für die praktische Anwendung des Verfahrens. Dessentheoretische Untermauerung bleibt hier unvollständig, da es den Rahmen dieserExpertise sprengen würde, alle einschlägigen Gedanken dafür zusammen zu tragen.Vielmehr wurden bestimmte Bereiche ausgewählt, die sich empirisch belegen lassen.Einige Arbeiten werden sowohl bei der theoretischen Begründung als auch bei derBeschreibung der Wirksamkeit erwähnt werden. Diese Redundanz wurde desbequemeren Lesens wegen in Kauf genommen.Im Anhang befinden sich die im Text erwähnten 60 Originalarbeiten, die zurBegründung der Wirksamkeit herangezogen wurden. Daran schließt sich eine Auswahlvon 11 Artikeln, die relevante Metaanalysen enthalten. Die Literatursuche in denMedien (Medline und Psychlit) ergab eine Fundus von 180 Publikationen zurEffektivität der Hypnotherapie, aus denen die beigefügten Originalarbeiten nachKriterien der Wissenschaftlichkeit ausgewählt wurden. Dieser Fundus ist nach den 12Anwendungsbereichen, die vom Wissenschaftlichen Beirat Psychotherapie genanntwerden, geordnet und auf einer Diskette beigefügt. Dort finden sich auch kurzeHinweise zum Inhalt und zur qualitativen Einschätzung der Studien.Diese Expertise wurde im Auftrag der Deutschen Gesellschaft für Hypnose und derMilton Erickson Gesellschaft für Klinische Hypnose erstellt. Sie ist auf diepsychotherapeutische, nicht die medizinische oder andere Nutzungen der Hypnosegerichtet. Daher betrifft sie nicht alle Anwendungsmöglichkeiten; so geht es nicht umdie sogen. Ruhehypnose (EBM 858), ebenso wenig wie die Hypnose in derpsychosomatischen Grundversorgung oder als Eigenerfahrung wie sie imWeiterbildungskatalog der Deutschen Gesellschaft für ärztliche Hypnose und autogenesTraining genannt werden (dazu unter Abschnitt 10: Ausbildung). Das Anliegen dieserExpertise ist die Überprüfung der wissenschaftlichen Grundlagen zur Anwendung derhypnotherapeutischer Verfahren zur Behandlung von psychischen Störungen mitKrankheitswert.2
DanksagungDanksagungDiese Expertise kam unter Mitwirkung zahlreicher Autoren zustande, deren spezialisierteFachkompetenz es ermöglichte, einen relativ breit angelegten Begründungszusammenhang fürdie Position der Hypnotherapie in der klinischen Psychologie zu formulieren. Ich möchte michan dieser Stelle für die außerordentliche Kooperativität und Flexibilität der beteiligten Kollegenbedanken:Als Autoren:Prof. Dr. Walter Bongartz, Universität KonstanzPd. Dr. Ralf Dohrenbusch, Universität BonnDipl. Psych. Erich Flammer, Unversität KonstanzDipl. Psych. Marc Habermüller, Universität TübingenProf. Dr. Ulrike Halsband, Universität FreiburgDipl. Psych. Bettina Klein, Universität TübingenDr. Clemens Krause, Universität TübingenProf. Dr. Wolfgang Miltner, Universität JenaDr. Burkhard Peter, Institut für integrierte Therapie, MünchenDipl. Psych. Dietrich Schauer, Universität TübingenPd. Dr. Thomas Weiss, Universität JenaFür die Sichtung der empirischen Materials zu Effektivitätsforschung zur Hypnotherapie:Prof. Dr. Walter Bongartz, Universität, KonstanzDipl. Psych. Erich Flammer, Unversität KonstanzDipl. Psych. Bettina Klein, Universität TübingenCand. Psych. Gaby Lippold, Universität TübingenDipl. Psych. Dietrich Schauer, Universität TübingenCand. Psych. Daniela Schmid, Universität TübingenCand. Psych. Monika Stoll, Universität TübingenFür die Beratung und kritische Diskussion des Manuskripts außer den schon genannten Personen:Dr. med. Wolfgang Blohm, Privatklinik Dr. Blohm, Wyck auf FöhrDipl. Psych. Werner Eberwein, DGH Ausbildungszentrum BerlinDipl. Psych. Wilhelm Gerl, Institut für integrierte Therapie MünchenDipl. Psych. Paul Janouch, Milton Erickson Institut, Bad SalzuflenDr. Christian Kinzel, Universität MünchenDr. med. Falko Kronsbein, Felsenlandklinik, DahnDr. Manfred Prior, Milton Erickson Institut, FrankfurtDr. Hans Riebensahm, Milton Erickson Institut, GöttingenProf. Dr. O. Berndt Scholz, Universität BonnDipl. Psych. Bernhard Trenkle, Milton Erickson Institut RottweilFür die Manuskriptgestaltung:Cand. Psych. Silvia Allgaier, Universität TübingenDipl. Psych. Bettina Klein, Universität TübingenDipl. Psych. Dietrich Schauer, Universität Tübingen3
Expertise HypnotherapieInhaltsverzeichnisVorbemerkung. 2Danksagung . 3Inhaltsverzeichnis. 41. Name des Verfahrens . 52. Definition und Kurzbeschreibung . 53. Art der Verfahren . 64. Detaillierte Beschreibung der Verfahren. 64.1. Allgemeine Prinzipien . 74.2. Formen der Suggestion . 144.3. Techniken direkter Suggestionen . 164.4. Techniken indirekter Suggestion. 194.5. Strukturierung der Therapie. 214.6. Ablauf einer Hypnotherapie-Sitzung . 255. Indikationsbereich . 285.1. Indikationen. 285.2. Kontraindikationen . 336. Stand der Theorieentwicklung. 356.1. Hirnphysiologische Korrelate von hypnotischen Trancezuständen. 356.2. Einfluss von Hypnose auf immunologische Prozesse . 426.3. Lernen, Gedächtnis und Hypnose . 496.4. Posthypnotische Suggestion . 576.5. Posthypnotische Amnesie. 696.6. Schmerzwahrnehmung . 776.7. Fazit zur Theorieentwicklung. 857. Diagnostik. 1007.1. Störungsspezifische Diagnostik . 1017.2. Suggestibilitäts-Diagnostik. 1027.3. Hypnotherapeutische Prozess-Diagnostik. 1058. Wirkungsforschung . 1108.1. Wirksamkeitsnachweise . 1118.2. Unerwünschte Wirkungen . 1638.3. Verhältnis von Kosten und Nutzen . 1668.4. Vergleich mit anderen Verfahren und Zusatznutzen. 1689.Versorgungsrelevanz. 17310. Ausbildung . 174Ausbildung in klinischer Hypnose und Hypnotherapie in der MEG . 175Ausbildung in Hypnose und Hypnotherapie in der DGH. 177Ausbildung in Hypnose und Hypnotherapie am KIKH. 179Ausbildung in Hypnose in der DGÄHAT. 18011. Qualitätssicherung. 18212. Fazit . 18313. Verpflichtungserklärung . 185Ausführliches Inhaltsverzeichnis. 1864
1. Name des Verfahrens1. Name des VerfahrensHypnotherapieDas Verfahren ist eine Psychotherapieform mit Indikationen für bestimmteStörungen (siehe Abschnitt 5 und 8). Es ist von der sogenannten Leer- oderRuhehypnose (EBM 858, GOÄ 845) zu unterscheiden, die als ein Teilaspektsubsummiert werden kann. Mit dem Begriff Hypnose wird häufig sowohl einveränderter Bewusstseinszustand wie das Verfahren, zu dessen Induktion bezeichnet.Im folgenden soll unter Hypnose das Verfahren zur Einleitung (Induktion) einerhypnotischen Trance und unter Hypnotherapie (auch Hypnosetherapie genannt) dieAnwendung des Verfahrens verstanden werden, um mithilfe von hypnotischer Trancepsychotherapeutische Veränderungen hervorzurufen.2. Definition und KurzbeschreibungHypnotherapie ist ein psychotherapeutisches Verfahren, das hypnotische Trance alseinen veränderten Bewusstseinszustand1 dazu nutzt,Verhaltensänderungen zu ermöglichenGedankliche Strukturen neu zu verknüpfenUnproduktive Einstellungen und Haltungen zu korrigierenAffektive Muster zu verändern (minimieren, verstärken, neu konditionieren)Emotional belastende Ereignisse und Empfindungen zu restrukturierenPhysiologische / biochemische Veränderungen für Heilungsprozesse zu fördern.Therapieziele sind die Problembewältigung durch Zugang zu eigenen Ressourcen zuverbessern, störenden und überwertige Affekte zu dissoziieren, nicht zugängliche(dissoziierte) Gefühle zu reintegrieren sowie physiologische Prozesse des Kreislaufs,der Muskulatur, des Immun- und Hormonsystems zu beeinflussen. Hypnotherapie istprimär eine lösungsorientierte Behandlungsmethode. Sie kann außerdem durchAltersregression (Aktivierung von episodisch/prozeduraler Gedächtnissysteme sowieimpliziter Inhalte) zur Aufdeckung und Klärung konflikthafter Hintergründe vonProblemen angewendet werden. Hypnotische Trance wird für viele symptomatischeIndikationen in Form einer Anleitung zur Selbsthypnose dem Patienten alsSelbsthilfetechnik vermittelt.5
Expertise HypnotherapieHypnotherapie basiert auf dem besonderen Vertrauensverhältnis der hypnotischenBeziehung, die es dem Patienten gestattet, die bewusste Kontrolle – soweit sie einereffektiven Problemlösung im Wege steht - zu reduzieren und implizite Lernvorgängedes nicht-deklarativen Gedächtnisses, kreative Potentiale des primärprozesshaftenDenkens und unwillkürliche Reaktionen des Körpers in den Veränderungsprozesseinzubeziehen. Dies wird durch Visualisierung, Imagination und Lösungsphantasienerreicht.3. Art der VerfahrenHypnotherapeutische Interventionen sind störungsspezifisch und weisen einen hohenGrad an Differenzierung auf. Es handelt sich um eine Gruppe von Verfahren, denenbestimmte Charakteristika gemeinsam sind (siehe Abschnitt 4. „DetaillierteBeschreibung der Verfahren“). Ein Teil der Interventionen sind symptomorientiert,andere klärungsorientiert, ein Teil zielt auf kognitive Umstrukturierung und affektiveVerarbeitung, andere auf physiologische und biochemische Prozesse. Hypnotherapiewird im allg. in der Einzeltherapie eingesetzt, kann in speziellen Fällen aber auch inGruppen (homogene und kleine Gruppen) angewendet werden. In vielen Fällen wirdimplizit über posthypnotische Suggestionen oder ganz explizit über Anleitung zurSelbsthypnose die Selbstkontrolle des Patienten gefördert.4. Detaillierte Beschreibung der Verfahren2Hypnotherapie kann man als eine elaborierte Anwendung und undNutzungeinesverändertenBewusstseinszustandes verstehen, in denen zur alltäglichen Wirklichkeit alternativeVorstellungen lebensnah konstruiert werden. In diesem Medium sollen Teile derWahrnehmung, des Denkens, der Gefühle und des Verhaltens so verändert und in dieAlltagswirklichkeit wieder so implementiert werden, dass dies zu einer adaptivenVerhaltensregulation des Individuums führt.12Im angloamerikanischen: altered state of consciousness, ASCDieser Abschnitt wurde verfasst von Dirk Revenstorf und Dietrich Schauer, Universität Tübingen6
4. Detaillierte Beschreibung der VerfahrenDa viele Symptome dem Patienten den Eindruck vermitteln, sie seien außerhalbseiner bewussten Kontrolle und weil die hypnotischen Phänomene ähnlicheCharakteristika besitzen, sind letztere für viele Patienten die plausiblen Werkzeuge, dieverloren geglaubte Kontrolle wieder zu gewinnen (Peter 2001). Um diesen Prozess zufördern kann auf ein differenziertes Repertoire an Behandlungsmethodenzurückgegriffen werden, von denen hier einige Basistechniken kurz umrissen werden(siehe z.B. Burrows & Dennerstein 1980; Wester & Smith 1984; Hammond 1990; Rhueet al. 1993; Weitzenhoffer 1989; deutsch: Revenstorf 1993; Revenstorf & Peter 2001)4.1. Allgemeine PrinzipienHypnotische TranceDer Zustand der hypnotischen Trance stellt einen subjektiv verändertenBewusstseinszustand dar, der sich von Wachbewusstsein, Schlaf und Entspannungunterscheidet (z.B. Kossak 1989, S. 302ff; Gruzelier 2000) - auch durchhirnphysiologische Korrelate (siehe Abschnitt 6.1). Es treten bestimmteTrancephänomene auf, die therapeutisch genutzt werden können (nachfolgendeTabelle). Von besonderer Bedeutung sind hierbei Dissoziation und viele damitzusammenhängenden Reaktionen, z.B. Ideomotorik (siehe Abschnitt 6. „Stand derTheorieentwicklung“).Hypnotische Trance kann wie Entspannung mit einer Verschiebung des autonomenGleichgewichts von sympatikoton nach parasympathikoton einhergehen, kann aber auchunter Anspannung und in Bewegung eintreten (z.B. ‚Aktiv-Wach-Hypnose‘, Banyai &Hilgard 1976). Hypnotische Trance ist wie viele Formen der meditativen Trance miteiner erweiterten oder einer fokussierten Aufmerksamkeit verbunden (Fromm & Hurt1980), dient aber nicht wie diese im allgemeinen der Ruhigstellung mentaler Prozesse,sondern ihrer Aktivierung zur Problemlösung oder Konfliktbearbeitung. Ferner basierthypnotische Trance (abgesehen von Selbsthypnose) im Gegensatz zu Entspannung undMeditation auf der hypnotischen Beziehung (s.u.), bei der eine teilweise Delegation derKontrolle über äußere Umstände und mentale Inhalte an den Therapeuten eine zentraleRolle spielt. Das hirnphysiologische Korrelat hierfür scheint eine primäre Inhibitionfrontaler, speziell linksfrontaler Rindenareale zu sein, mit nachfolgender Erregungspeziell jener Rindenfelder, die den jeweiligen hypnotischen Aufgaben bzw.Phänomenen entsprechen. (Gruzelier 2000). Dadurch wird eine Innenwendung der7
Expertise HypnotherapieAufmerksamkeit und der Zugang zu vermiedenen oder verdrängten Inhalten erleichtert,und die Vorstellung sensorischer, affektiver und kognitiver sowie die Evokationphysiologischer Reaktionen (Ideodynamik) gefördert. Eine Verbesserung der kognitivenund physiologischen Flexibilität (Crawford 1989) in hypnotischer Trance scheint dieBasis dafür zu sein.In der Hypnotherapie wird für unwillkürliche Reaktionen sowie implizite Lern- undGedächtnis-Prozesse die Metapher des Unbewussten eingeführt. Damit wird es zueinem ‚therapeutischen Tertium‘, d.h. zu einer Projektionsfläche für ungenutzteMöglichkeiten des Patienten (Peter 2001). Indem auf diese Weise die Veränderungscheinbar nach außen verlegt und einer dritten Instanz (neben Patient und Therapeut)überantwortet wird, kann der Patient eher die Hoffnung schöpfen, als wenn er an seinebisher vergeblichen Heilungsversuche anknüpft. Dabei muss er nicht vom Therapeutenabhängig werden, denn das Unbewusste ist ein Teil vom ihm selbst.Hypnotherapeutische Trancephänomene sind psychopathologischen Phänomeneninsofern ähnlich, als dass sie unwillkürlich oder autonom ablaufen. Der Unterschiedbesteht darin, dass hypnotische Phänomene kontrollierbar sind. Sie könnenhervorgerufen, verstärkt, abgeschwächt, moduliert und beendet werden. HypnotischePhänomene eigenen sich deshalb gut zur Einübung von Selbstkontrolle über vielepsychopathologische Symptome (Peter 2001).Therapeutisch relevante TrancephänomenePerzeptive und sensorische Prozesse:Kinästhetische und motorische Phänomene:Absorbtion, KonzentrationErhöhte ImaginationsfähigkeitIdeosensorikDissoziation und AssoziationAnalgesie / AnästhesieHyperästhesiePositive und negative Halluzination,in verschiedenen SinnesmodalitätenIdeomotorikKatalepsie und LevitationWächserne BiegsamkeitMotorische ÖkonomieKognitive Phänomene:Physiologische Reaktionen:Zeitverzerrung (Ausdehnung, Verdichtung)Posthypnotische Suggestion / ReaktionAmnesie / HypermnesieRegression / RevivikationProgressionVegetative Umschaltung rolle (Vasodilatation, -Konstriktion)Aktivierung des ImmunsystemsTabelle 4.1.: Therapeutisch relevante Trancephänomene8
4. Detaillierte Beschreibung der VerfahrenUtilisationDas Konzept der Utilisation (Nutzung, Nutzbarmachung) kann als ein zentralesPrinzip moderner Hypnotherapie bezeichnet werden, mit dem viele andere Konzepte,insbesondere das der Ressourcenaktivierung und des ‚Reframing‘ im Zusammenhangstehen. Die Einführung des Begriffes und die damit einher gehende Weiterentwicklungder Hypnose geht auf Erickson (1959) zurück. Damit ist gemeint, dass in jederEigenheit des Patienten eine für ihn spezifische Lernerfahrung und Fertigkeit steckt, dieu.U. als Ressource für die Veränderung genutzt werden kann. Das bezieht sich auf diein der Therapie auftretenden Beziehungsmuster (siehe Abschnitt 7.3) wie auf bestimmteAspekte der Symptomatik - etwa können traumatisierte Patienten besonders gutdissoziieren und sind daher besonders Trance-geeignet (Spiegel et al. 1988).Spontan auftretende Verhaltensweisen und Reaktionen des Patienten sollen soweitwie möglich in die Gestaltung der Therapie im allgemeinen und der Tranceinduktion imbesonderen einbezogen werden, woraus eine Individualisierung der Therapie resultiert(‚tailoring‘). Zur systematischen Beobachtung bestimmter Merkmale der Interaktionund der Anpassung des Therapieprozesses siehe Abschnitt 7.3. t durch direkte Suggestion neue Erfahrungen oder Verhaltensweisenhervorrufen oder unerwünschte zum Verschwinden bringen zu wollen, werden bereitsvorhandene, dem Patienten im gegenwärtigen Kontext nicht verfügbare,Verhaltensweisen utilisiert, um das Therapieziel zu erreichen. Die Evokationvorhandener Ressourcen zur Gestaltung neuer Muster wird durch Destabilisierunggewohnter Muster erleichtert. Auch hypnotische Trance stellt in diesem Sinne eineUnterbrechung gewohnter Denkmuster dar.Es lassen sich drei Ebenen der Utilisation nach ihrem Zweck in der s - Stile, Einstellungen, Attributionsmuster und andere Merkmale desPatienten werden vom Therapeuten symmetrisch oder komplementär für die Gestaltungder Kommunikation genutzt, um eine produktive Therapiebeziehung herzustellen undaufrechtzuerhalten.9
Expertise Hypnotherapie2. Trance-Induktion und Vertiefung: Die gleichen Informationen können auchgenutzt werden, um die Trance-Induktion auf den Patienten abzustimmen. Aber auchAußengeräusche und andere potenzielle Störungen können so integriert werden, dassder Trancezustand nicht behindert sondern weiter vertieft wird (Inkorporation).Einzelne Trancephänomene, die keinen therapeutischen Sinn an sich haben, werdenals Mittel zur Erreichung von therapeutischen Teilzielen genutzt (z.B. Levitation einesArmes als ideomotorisches Signal). Sowohl während der hypnotischen Bearbeitung alsauch im Nachgespräch können Trancephänomene (wie Katalepsie oder Zeitverzerrung)genutzt werden, um den Patienten von seiner Trancefähigkeit zu überzeugen(Ratifikation). Während der Trance kann das eine weitere Vertiefung bewirken.Generell fördert die Trance-Erfahrung mit ihren unwillkürlichen Phänomenen dieErwartung des Patienten, dass eine Veränderung mit anderen als den bisher von ihmbemühten Mitteln möglich ist.3. Therapeutische Veränderung: Verhaltensweisen und Trance-Phänomene werdenzur Erreichung des eigentlichen Therapiezieles genutzt, indem sie von dem Kontext, indem sie natürlicherweise auftreten, auf den Kontext übertragen werden, der bislang alsProblemfeld empfunden wurde, etwa die Dissoziation von der körperlichen Empfindungwährend der Trance als Bewältigungsmechanismus in Stresssituationen, um denCirculus vitiosus der Angsteskalation zu verhindern.RessourcenorientierungVerhaltensweisen und Erfahrungen sowie auch Trancephänomene selbst, die für dietherapeutische Veränderung utilisiert werden können, werden als Ressourcenbezeichnet. Damit sind sowohl brachliegende nützliche Verhaltensmöglichkeiten undSichtweisen als auch strategisch günstige „Zwischenstücke“ gemeint, die eine Brückezum erwünschten Verhalten schlagen können. Durch Umdeutung (‚Reframing‘)kommen grundsätzlich viele Muster, auch ursprünglich unerwünschte, eventuell sogarSymptome, als Ressourcen in Betracht. Mit ‚Reframing‘- meistens mit „Umdeutung“übersetzt – ist einerseits gemeint, dass negativ bewertete Verhaltensweisen oderEreignisse eine positive oder indifferente Konnotation erhalten. Andererseits wird durcheinen andern Bezugsrahmen eine aussichtsreichere Perspektive entwickelt und ein10
4. Detaillierte Beschreibung der VerfahrenEngpass kann überwunden werden (Watzlawick et al. 1974; Jackson & Weakland 1961;Jackson 1961)3.Hilfreich sind dafür die Unterscheidungen zwischen Verhalten und Motivation bzw.Intention, die dem Verhalten vorausgehen, sowie zwischen Verhalten und seinemangestrebten Ziel. Neben einer Umdeutung wird mit diesen Unterscheidungen dasVerhalten in aufeinander folgende Bestandteile zerlegt, wodurch es nicht mehr alsunveränderbare Entität, sondern als ein Prozess verstanden wird, in dem für denPatienten Handlungsspielraum besteht. Anders als in der kognitiven Therapie wird dieUmdeutung in der Hypnotherapie auch durch Übersetzung in Bilder erreicht, die inihrem konnotativen Hof umfangreicher sind als Worte. Oft ist dem Patienten weder diepositive Absicht noch der Entstehungskontext seines Verhaltens mit unerwünschtenAuswirkungen bewusst. In der Hypnotherapie besteht dann die Möglichkeit, dazu dassogenannte Unbewusste zu befragen (z.B. durch ideomotorische Signale, sieheAbschnitt 4.3.).Insgesamt ergeben sich zwei Klassen von Ressourcen: solche, die negativ bewertetwurden und durch Umdeutung zur Ressource wurden, und solche, die bereits positivbewertet werden aber aus einem anderen Kontext stammen, was dem Begriff derRessourcen-Aktivierung in der allgemeinen Psychotherapie (sensu Grawe 1998)entspricht.Die für die therapeutische Praxis wohl weitest gehende Konsequenz ergibt sich ausder Utilisation von Reaktionsweisen des Patienten, die ansonsten als Widerstandbezeichnet werden. So deutet Erickson das scheinbare Ausbleiben der Kooperation alsEntscheidung des Unbewussten, seinen eigenen Weg zu gehen - am Beispiel der nichteintretenden Handlevitation: die Unbeweglichkeit und Schwere der Hand alsindividuelle hypnotische Reaktion.Hypnotische BeziehungGilligan (1987/1991, S. 30ff) unterscheidet zwischen autoritärer, standardisierter undkooperativer Beziehungsgestaltung in der Hypnose, dem noch die strategische Formhinzuzufügen ist.3Das Konzept „Reframing“ wurde zuerst von der Palo-Alto-Gruppe um Gregory Bateson formuliert,während durch Beobachtungen und Interviews die Arbeitsweise von Milton Erickson nachvollzogenwurde.11
Expertise HypnotherapieAutoritäre Beziehungsgestaltung beruht auf dem Prinzip von Auftrag und Gehorsam,was am deutlichsten bei der Bühnenhypnose wird, wo hauptsächlich direkteSuggestionen benutzt werden. Standardisierte Beziehungsgestaltung findet meist imRahmen von Forschungsexperimenten statt. Ebenso ist die Induktion mit Hilfe vonTonträgern (Audiokassetten oder CDs) zwangsläufig standardisiert. KooperativeBeziehungsgestaltung beruht auf dem Prinzip der Utilisation und individualisiert dasVorgehen. Dies trifft auch auf die strategische Beziehungsgestaltung zu, die sich aber inden Aspekten Transparenz und Auftragsdynamik unterscheidet: Bei kooperativerBeziehungsgestaltung wird der Auftrag zwischen Patient und Therapeut ausgehandeltund der Therapeut erläutert sein Vorgehen, um das verstehende Einverständnis desPatienten zu erhalten. Bei strategischem Vorgehen wird davon ausgegangen, dass eineAufklärung des Patienten hinderlich sein kann, da sie diejenigen bewussten Prozessedes Patienten stärkt, die das Problem mit aufrecht erhalten und den Zugang zumöglichen Ressourcen erschweren (vgl. Kraiker 1991).Eine völlig unterschiedliche Bedeutung bekommen nicht erwartete oderunerwünschte Reaktionen des Patienten. Bei autoritärer Beziehungsgestaltung wird demdie Bedeutung von „Widerstand“ gegeben. Standardisierte Vorgehensweisen, die zurDiagnostik entwickelt wurden, stellen in diesem Fall eine geringe Suggestibilität fest.Strategische Beziehungsgestaltung gibt unerwünschten Resultaten hingegen dieBedeutung, dass die Individualisierung des Vorgehens verbessert werden kann. Beikooperativer Beziehungsgestaltung kommt hinzu, dass der Patient ein berechtigtesInteresse an mehr Aufklärung und Transparenz hat, um eventuelle Befürchtungenauszuräumen. Yapko (1990) empfiehlt, den Patienten so wenig wie möglichaufzuklären, aber so viel wie nötig, damit die Kooperationsbasis gewährleistet ist.Im Laufe der letzten 30 Jahre haben sich die Grenzen zwischen der sogenannten,ericksonianischen Hypnose und der sogen. klassischen Hypnose verwischt, da letztereals Spezialfall der Utilisiation autoritärer Muster gesehen wird (Weitzenhoffer 1989,1994). Entsprechend können die skizzierten Möglichkeiten der Beziehungsgestaltungflexibel genutzt werden.12
4. Detaillierte Beschreibung der VerfahrenRapportHypnotischer Rapport4 kann, anders als beim normalen Gespräch, auch ohneAugenkontakt oder verbale Interaktion aufrecht erhalten werden. Hypnotischer Rapportwird im Wesentlichen durch ‚Pacing‘ hergestellt (Angleichen, spiegeln, mitgehen), dasauf verbaler und nonverbaler Ebene stattfindet. Dies führt zu einem Zustand, den manals Synchronisation von Patient und Therapeut beschreiben kann. Damit wird einesymmetrische Beziehungsgestaltung angestrebt. Die Rollenverteilung von Therapeutund Patient ist dennoch asymmetrisch. Außerdem kann auch komplementäreBeziehungsgestaltung sinnvoll sein, um z.B. durch eine paradoxe AufforderungReaktanz zu vermeiden („Sie müssen nicht gleich in Trance gehen“).Verbales Pacing schließt Aspekte von Empathie und Verbalisierung emotionalerErlebnisinhalte aus der Gesprächspsychotherapie ein und besteht im Aufgreifen,Wiederholen und Zitieren von Begriffen, Schlüsselworten und Metaphern des Patienten.Darüber hinaus wird die unbewiesene Heuristik verwendet, beim Formulieren vonSuggestionen systematisch die Prädikate an die präferierten Sinnesmodalität desPatienten anzugleichen5. ‚Pacing‘-Aussagen, die der Wahrnehmung und derWerthaltung des Patienten entsprechen und damit seine Zustimmung finde
die Position der Hypnotherapie in der klinischen Psychologie zu formulieren. Ich möchte mich an dieser Stelle für die außerordentliche Kooperativität und Flexibilität der beteiligten Kollegen bedanken: . Universität Tübingen Dipl. Psych.