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Jörg Fischer Tobias Kosellek (Hrsg.)Netzwerke und Soziale Arbeit
Edition Soziale ArbeitHerausgegeben vonHans-Uwe Otto Hans Thiersch
Jörg Fischer Tobias Kosellek (Hrsg.)Netzwerke und Soziale ArbeitTheorien, Methoden, Anwendungen2., durchgesehene und erweiterte Auflage
Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. JedeVerwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere fürVervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung undVerarbeitung in elektronische Systeme.Dieses Buch ist erhältlich als:ISBN 978-3-7799-3887-3 PrintISBN 978-3-7799-5081-3 E-Book (PDF)2., durchgesehene und erweiterte Auflage 2019 2019 Beltz Juventain der Verlagsgruppe Beltz · Weinheim BaselWerderstraße 10, 69469 WeinheimAlle Rechte vorbehaltenHerstellung: Hannelore MolitorDruck und Bindung: Beltz Grafische Betriebe, Bad LangensalzaPrinted in GermanyWeitere Informationen zu unseren Autor innen und Titeln finden Sie unter:www.beltz.de
VorwortJörg Fischer und Tobias Kosellek haben einen Herausgeberband zum Thema „Netzwerke und Soziale Arbeit“ vorgelegt, der in seiner Struktur unddurch die Qualität der AutorInnen mit Sicherheit die Diskussion um denStellenwert des Begriffes und des Arbeitsansatzes Netzwerk in den theoretischen, analytischen, methodischen und praxisrelevanten Herausforderungengrundlegend beeinflussen wird. Ist bislang dieser Begriff vielerorts in derSozialen Arbeit im Rahmen deskriptiver Klärungen von in der Regel institutionellen Zusammenhängen verwendet worden, ohne dabei eine wirklichweiterreichende Systematisierung im Theorie-Praxis-Verhältnis der Sozialen Arbeit zu befördern, so sind mit dieser Veröffentlichung Vorgaben gemacht, die für die Qualität zukünftiger Diskussionen bestimmend sein werden.Darauf machen insbesondere die theoriebezogenen Artikel aufmerksam,wobei gleichzeitig aufgezeigt wird, dass der Netzwerkbegriff mittlerweileund mit dieser Veröffentlichung definitiv eine gewisse Beliebigkeit verlorenhat und im Rahmen weitergehender Forschungen sich nun verstärkt empirisch evidenten Wissensbeständen in der Sozialen Arbeit nicht zuletzt imHinblick darauf zuzuwenden hat, um die Grundlagen neuer Sichtweisenweiter zu klären. Insbesondere wird zu prüfen sein, ob die netzwerktheoretischen Analysen und ihre in der Sozialen Arbeit nicht zu übersehende, einsetzende ideologische Verdichtung mehr einer dispositionalen Fixierung aufeine vorherrschende Normativität folgen und eine damit verbundene entsprechende weitgehende Umsetzung als effizienzorientierte Optimierungsabsicht der vorherrschenden Institutionalisierungsformen verbunden bleibt– oder für eine alternative Erweiterung im Hinblick auf vorherrschendekonservative Arbeitsroutinen hilfreich sein kann. Gerade in Hinsicht auf dieimmer wieder proklamierten Aussagen über ein neues Verhältnis von Individuum und Gesellschaft und die sich daraus ergebenden handlungstheoretisch möglichen Konsequenzen müssen überprüft werden, ob und welcheAnknüpfungspunkte sich für eine kritische Soziale Arbeit ergeben.Bis zu einer entsprechenden Umsetzung von Netzwerkansätzen als Arbeitsprinzip, die sich dann auch einer evaluativen Wirkungsanalyse öffnenmüssen, ist noch ein weiter Weg. Für die Soziale Arbeit bestehen dabei folgende Herausforderungen:5
1. Begriffliche Schärfung des Netzwerkansatzes, ohne sich in den vielfältigen Differenzierungen als Netzwerktheorie, Netzwerkanalyse und ihrerentsprechenden disziplinären Vielfalt zu verlieren.2. Entwicklung eines Anwendungsbezugs für Soziale Arbeit, die eine kritische Gesellschaftstheorie zum Ausgangspunkt nimmt und gerade inden intendierten Verknüpfungslinien zwischen Individuum, Problem undKontext im institutionellen Setting sich der Politik einer manageriellenSteuerungsstrategie widersetzt.3. Stärkung einer problembezogenen Professionalität als Identitätsbildungder Sozialen Arbeit und nicht, davon abgesetzt, lediglich eine abermalsmodernisierte Form einer inzwischen zunehmend regressiv agierendenSozialraumorientierung zu forcieren.Alles das spricht dafür, sich den Mühen der Auseinandersetzung mit derNetzwerkanalyse in ihren Theorien und Methoden nicht zu entziehen, sondern die Chance zu ergreifen, sich daraus ergebende begriffliche Neuerungen im eigenen Feld auch im Hinblick auf Veränderungen von Routinen zubetrachten, die in ihrer Standardisierung Konventionen präsentieren, die oftstärker einen auslaufenden Charakter haben als eine perspektivische Verstärkung, die mehr sein muss als nur eine Maskierung des Bekannten. Sichhierauf einzulassen bzw. sich auch einlassen zu können, ist eine sowohl intellektuelle als auch anwendungsbezogene, aber immer auch eine gesellschaftspolitische Herausforderung. Es bleibt abzuwarten, wie die Fachweltin Disziplin und Profession darauf reagiert. Die vorliegende Veröffentlichung hat hierzu wahrlich faszinierendes Argumentationsarsenal geliefert.Hans-Uwe Otto6
InhaltJörg Fischer, Tobias KosellekNetzwerke in der Sozialen Arbeit von der quantitativen zurqualitativen Herausforderung – eine Einleitung zur zweiten Auflage11Jörg Fischer, Tobias KosellekNetzwerkorientierung in der Sozialen Arbeit – eine Einleitung17Theoretische Verortung von Netzwerken in der Sozialen ArbeitMichael WinklerNetzwerke(n) in der Sozialen ArbeitVermutlich eine Polemik, zumindest aber der Verweisauf eine Dialektik24Michael MayNetzwerktheorien in der Sozialen Arbeit50Hans MerkensNetzwerke und Neoinstitutionalismus84Wilfried HosemannSystemische Soziale Arbeit und Netzwerke98Stephan LorenzTafeln als Netzwerk – im transnationalen Netz der Tafeln?Ambivalenzen des Netzparadigmas114Jan FuhseKommunikation und Handeln in Netzwerken133Veronika TackeSysteme und Netzwerke – oder: Was man an sozialen Netzwerkenzu sehen bekommt, wenn man sie systemtheoretisch beschreibt149Horst UeckerSoziale Arbeit zwischen Netzwerken und Organisationen –ein kommunikationstheoretischer Vergleich1697
Georg Cleppien, Tobias KosellekVertrauen in Netzwerke(n)182Günter RiegerSoziale Arbeit, Netzwerke und Gerechtigkeit205Jan ZychlinskiNetzwerke und Sozialraum in der Sozialen Arbeit –kritische Bestandsaufnahme eines spannungsreichen Verhältnisses221Heinz-Jürgen Stolz, Johannes SchütteWirkungslogiken in kommunalen Präventionsketten –eine praxistheoretische Reflexion237Christian Kolbe, Claus ReisMachtfreie Netzwerke?Von Machtverhältnissen und ihrer De-Thematisierung276Netzwerken als methodisches Handeln in der Sozialen ArbeitJoachim WielerDer Wald vor lauter BäumenNetzwerke und die Geschichte/n der Sozialen Arbeit294Herbert SchubertNetzwerkmanagement in der Sozialen Arbeit329Tilly MillerDas Pendeln zwischen Systemen und Netzwerken:Eine Herausforderung für die Akteure349Matthias Hüttemann, Cornelia RüeggerDie Perspektive sozialer Netzwerkeals Option sozialpädagogischer Diagnostik357Frank EgerLösungsorientierte Netzwerkarbeit370Netzwerke in Handlungsfeldern Sozialer ArbeitPetra BauerBeratung und Netzwerke384Christine MeyerNetzwerke im Alter – Altern zwischen (zu) viel Raumund (zu) wenig Netzwerk!?4028
Christiane Meiner, Jörg FischerGelingender Kinderschutz durch Netzwerkbildung? –Implementierungsstrategien auf kommunaler Ebene422Karl Friedrich Bohler, Tobias FranzheldAnalyse von Netzwerkstrukturen in Kinderschutzfällen443Jörg FischerNetzwerkorientiertes Handeln in der kommunalen Bildungsund Sozialpolitik461Nadia KutscherVirtuelle Soziale Netzwerke als Raum Sozialer Arbeit –Herausforderungen und Perspektiven für Bildung und Teilhabe476Jörg Fischer, Christoph HuthVernetzung im ländlichen RaumFrühkindliche Bildung in der Kooperation zwischen Politik,Kindertagesstätten und Eltern498Heinz-Jürgen StolzDie Kinder- und Jugendhilfe in lokalen Bildungslandschaften –Ergebnisse einer empirischen Studie517Jens PothmannNetzwerk BildungslandschaftenPerspektiven der Kinder- und Jugendarbeit in und neben der Schule536Bernd DollingerJugendkriminalität im NetzwerkKooperative Strukturen der Bearbeitung von Delinquenz546Silke Birgitta Gahleitner, Hans Günther HomfeldtGesundheitsbezogene Soziale Arbeit und soziale(s) Netzwerke(n)568Die Autorinnen und Autoren5919
Jörg Fischer, Tobias KosellekNetzwerke in der Sozialen Arbeit vonder quantitativen zur qualitativenHerausforderung – eine Einleitungzur zweiten AuflageDer Stand der NetzwerkentwicklungIn der ersten Auflage des Bandes „Netzwerke und Soziale Arbeit“ in 2013sprachen wir, die beiden Herausgeber, von einer Konjunktur des Netzwerkbegriffs. Sowohl im transdisziplinären Theorieverständnis der Sozialen Arbeit als auch in der gegenwärtigen Praxis wurden Vernetzungsphänomene invielen Themenbereichen und Handlungsfeldern sichtbar. Obwohl SozialeArbeit Formen des vernetzten Zusammenwirkens bereits im klassischenGrundrepertoire des methodischen Handelns aufweist, wurden mit demHype um den Vernetzungsgedanken ab etwa 2010 Dimensionen des Vernetzens und damit verbundene Fragestellungen und Herausforderungen sichtbar, die weit über eine bloße Handlungsmethode Sozialer Arbeit hinausreichen. Unsere Definition aus 2013, wonach Netzwerkorientierung in einerdreifachen Intention als Netzwerkansatz im Sinne eines theoretischen Ansatzes zur Auftragsbestimmung und Definition Sozialer Arbeit, als Netzwerken im Verständnis einer etablierten Form methodischen Handelns undals Netzwerk entsprechend einer neuen institutionellen und professionellenHandlungsebene Sozialer Arbeit zu deuten ist, erwies sich als brauchbareUnterteilung, um die Auswirkungen des Vernetzens in seiner ganzen Breitesystematisch erfassen zu können (vgl. Fischer/Kosellek in diesem Band).Gleichzeitig ist unsere Befürchtung, wonach Vernetzung gerade aufgrund seiner mannigfaltigen Bedeutung mit allen möglichen Formen desZusammenarbeitens in einen Topf geworfen wird und damit Gefahr läuft,substanzlos zu werden, weiterhin berechtigt. Genau dieser Umstand und dergleichzeitige Optimismus bezüglich der Potentiale der Netzwerkorientierung in allen Handlungsfeldern der Sozialen Arbeit stellte nicht nur dieeigene Motivation der Herausgeber in 2013 dar, sondern bleibt auch 2018bestehen.11
Die Relevanz des Themas ist weiterhin immanent. Allein hierin ist bereits ein bedeutender Unterschied zu vielen anderen Konzepten und Ansätzen in der Theorie und Praxis Sozialer Arbeit feststellbar, die sich schnelllediglich als Modethema entpuppen und zeitnah in der Aufmerksamkeitsskala nach unten tendieren. Die Entwicklung des Vernetzungsgedankens alsein neues Paradigma Sozialer Arbeit (Böwer/Fischer 2014) ist fortwährendvon einer großen Bandbreite und Dynamik gekennzeichnet. In der Entwicklung lassen sich bestimmte Kennzeichen ableiten, die für das Verständnisvon der Einordnung prägend sind:1. Flächendeckende Verbreitung von NetzwerkenIm Zuge der quantitativen Ausbreitung von vernetzten Formen der Zusammenarbeit kann in mehreren Handlungsfeldern wie dem Kinderschutz, denFrühen Hilfen oder Zusammenarbeit von Schule und Jugendhilfe eine flächendeckende Vernetzung konstatiert werden (NZFH 2014). In vielen anderen Feldern ist eine breite Dynamik bei der Implementierung von Netzwerken wahrnehmbar.2. Höhere Professionalität der NetzwerkarbeitDie Strukturen der Netzwerkarbeit sind dabei geprägt von einem zunehmenden Grad an professioneller Koordination sowie an sich häufenden gesetzlichen Verpflichtungen, in denen Professionelle und Institutionen zueiner Zusammenarbeit rechtlich angehalten werden. Durch diese Regelungen schwindet der Anteil an rein auf Freiwilligkeit setzenden Formen dervernetzten Zusammenarbeit, weswegen sich auch der Charakter von Netzwerken in manchen Handlungsfeldern wie dem Kinderschutz deutlich verändert. Die Zunahme von Fachkräften, die in lokalen Netzwerken Koordinationsaufgaben übernommen haben, bedingt ein Ansteigen von lokal vorhandener Expertise im Netzwerkmanagement.3. Ausdehnung von Netzwerken in neue HandlungsfelderDurch die wachsende Expertise im Umgang mit Netzwerken erfolgt einUmdenken in vielen Handlungsfeldern. Obwohl vernetztes Arbeiten bislangvor allem in kleineren Aufgabenfeldern Anwendung fanden, werden derenmethodische Ableitungen allerdings zunehmend für die vernetzte Lösungvon Kernherausforderungen Sozialer Arbeit etwa im Ausbau der frühkindlichen Pflege oder im Inklusionsbereich umgesetzt. Ein struktureller Lerneffekt, der dafür bereits genutzt werden kann, ist das Entstehen völlig neuer12
Formen der interinstitutionellen und multidisziplinären Zusammenarbeit.Durch Netzwerke kommen Berufsgruppen und Institutionen miteinander inBerührung, die oftmals noch nie zusammengearbeitet haben. Dies bietet sowohl den Professionellen wie auch den beteiligten Institutionen völlig neueLernzugänge und Handlungsansätze. Durch das Netzwerken reduzieren sichdie Unsicherheiten im Umgang mit der Umwelt.4. Neue methodische Ansätze durch das NetzwerkhandelnSchließlich lassen sich aus dem Netzwerkhandeln auch methodisch neueFormen der Problembearbeitung ableiten, die Einfluss auf das VerständnisSozialer Arbeit haben. Mit der institutionellen und professionellen Einbindung in Netzwerke ergibt sich ein erweiterter Analyse- und Arbeitsansatzzur Erreichung gemeinsamer Ziele, der gleichzeitig auch die eigene Identität als Organisation und als Fachkraft wahrt. Es gehört jeweils zur Verhandlungsmasse, den Grad der Eingebundenheit als Person und Institution sowiedie Abgrenzung von Netzwerk und eigener Herkunftsinstitution zu bestimmen und neu zu justieren.Gleichzeitig ergeben sich aus den inhaltlichen und strukturellen Gegebenheiten für das Netzwerkhandeln methodische Herausforderungen, dieUnsicherheiten aufweisen in Bezug auf die Erfassung von zuständigkeits- und handlungsfeldübergreifendenBedarfen, die tatsächliche Einbindung von Zielgruppen, das Schaffen von niedrigschwelligen und nicht nur rein problemzentrier-ten Zugängen, das Ableiten von nachhaltig funktionierenden Ansätzen und die jeweilige Definition von Erfolg und Wirkung in den einzelnen Handlungsschritten.Erschwert wird die Suche nach geeigneten Lösungen durch den notwendigen Umgang mit verschiedenen Logiken der Politik, der Verwaltung, desMarktes und der Gesellschaft in ihrer Rolle als intermediäre Instanz.Aus diesen Tendenzen heraus lassen sich zunehmend Netzwerke als einewertvolle Ergänzung zu bestehenden klassischen Steuerungsformen desStaates, der Verwaltung und des Marktes begreifen. Obwohl die Pole vonNetzwerke und Verwaltung mit ihrer Spezialisierung, der Hierarchie, derRegelgebundenheit und der Aktenmäßigkeit sich eigentlich diametral entgegenstehen, lassen sich durch Vernetzung eine Anpassung an veränderteKontexte und Problemkonstellationen in der Verwaltung vornehmen. Damitverbunden ist als zunehmend diskutierte Herausforderung eine stärkere Integrations- und Koordinationsherausforderung, die nicht nur Fachkräfte,13
sondern gerade auch Leitungskräfte vor veränderte Aufgaben stellt und sichnur mit einer engen Verknüpfung mit integrativer Steuerung lösen lässt.Tendenzen in der NetzwerkentwicklungAus den Kennzeichen der Netzwerkentwicklung heraus lassen sich Tendenzen ablesen, die uns in Gegenwart und Zukunft weiter beschäftigen und dieNetzwerkdebatte beeinflussen werden. Im Mittelpunkt dieser Überlegungensteht zum einen der Qualitätsbegriff. Dahinter steht die zunehmende Einsicht, dass nicht allein der quantitative Ausbau für den Erfolg spricht, sondern mit dem Netzwerk die Erreichung eines bestimmten inhaltlichen Zielsverbunden ist. Insofern stehen Fragen nach der Bestimmung von Bedarf,Zielen und den Indikatoren zur Messung der Erreichbarkeit im Fokus. Diezentrale Herausforderung hierbei ist es, auf das Netzwerkgeschehen passende Ansätze zur Bestimmung und Stärkung von Qualität und Ideen zu deren Umsetzung in der Praxis zu entwickeln.Damit einhergeht geht eine weitere Tendenz in der Fortentwicklung desNetzwerkgeschehens. Analog zur generell steigenden Legitimationsbedürftigkeit Sozialer Arbeit stehen viele Netzwerke inmitten der Herausforderung, sich mit dem eigenen Wirkungsverständnis und den Konsequenzendes eigenen Netzwerkhandelns zu befassen. Mit Blick auf die Wirkung vonNetzwerken ist es von entscheidender Bedeutung, das Netzwerk hinsichtlich seiner Fähigkeit zu hinterfragen, trotz heterogener Zusammensetzungvon Professionellen und Institutionen eine Geschlossenheit und Produktivität des Netzwerks zu erreichen. Dabei kommen zwei Mechanismen zumTragen: Mit dem Schließungsmechanismus als eine Form von Abgrenzungwird das Ziel befördert, nach innen eine gemeinsame Identität zu erreichenund den notwendigen vertrauensvollen Umgang zu entwickeln, um eineHerstellung von Wirkung ermöglichen zu können. Daneben benötigenNetzwerke in einer zweiten Wirkungsperspektive von Netzwerken die Fähigkeit, aus dem Netzwerk heraus zu wirken und Übertragungsstrukturen zuentwickeln, die einen permanenten Fluss von Erkenntnissen im Netzwerküber dessen Grenzen hinaus ermöglichen. Mit diesem Übertragungsmechanismus sind Netzwerke in der Lage, über den unmittelbaren Akteurskreis weiterzudenken und den Wirkungskreis massiv zu vergrößern. Genaudas darauf beruhende Verständnis von Wirkung und die Herausforderungseiner Bewältigung bilden einen weiteren künftigen Schwerpunkt derNetzwerkdebatte.Schließlich stehen institutionelle Netzwerke inmitten der Herausforderung, in die Feststellung der Bedarfe und die Entwicklung von Angebotendie Zielgruppen stärker an diesen Aushandlungsprozessen teilhaben zu lassen und partizipative Elemente zu stärken. Partizipation bildet somit einenSchlüsselbegriff (Fischer/Geene 2017, S. 11). Netzwerke, die durch ihren14
multiprofessionellen und interinstitutionellen Zuschnitt geprägt sind, können ihren Auftrag langfristig nur erreichen, wenn Übergänge zu sozialenKapitalformen in der Zivilgesellschaft geschaffen werden und die Bestimmung sozialer Probleme nicht allein expertokratisch wahrgenommen wird.Im Sinne ihrer gesellschaftlichen Funktion können Netzwerke ihre Legitimation sichern, solange sie die integrativen Potentiale des Vernetzungsansatzes auch tatsächlich ausschöpfen und sich nicht ausschließlich hinterprofessioneller Fremddeutung verschanzen.Über dieses BuchDie Beiträge der ersten Auflage dieses Buches haben die zentralen Aspekteder Netzwerkdiskussion aufgegriffen und stellen damit bis heute einenwichtigen Meilenstein in der wissenschaftlichen und professionellen Netzwerkdiskussion dar. Insofern behalten alle Beiträge ihre Gültigkeit und verdienen auch in der zweiten Auflage Berücksichtigung zu finden. Aufgrundder Fortentwicklung der Netzwerkdiskussion wurden in die zweite Auflagedrei weitere Beiträge analog zu den erwähnten Tendenzen aufgenommen,die sich mit in ihrer Relevanz neuhinzugekommenen ausgewählten Aspekten befassen. Dazu zählt der Beitrag von Stolz und Schütte zu den Wirkungslogiken in kommunalen Präventionsketten als einen wichtigen Beitragzur Definition von Wirkung in Netzwerkzusammenhängen sowie der Beitrag von Kolbe und Reis, in dem der Umgang mit Macht in Netzwerkenhinterfragt wird. Schließlich wird mit dem Beitrag von Eger zum lösungsorientierten Arbeiten mit und in Netzwerken ein Zugang aufgenommen, derdie Zielorientierung im praktischen Handeln von Netzwerken analysiert.Wir, die beiden Herausgeber, verbinden mit dieser zweiten Auflage dieHoffnung, dass dieser Sammelband weiterhin die wissenschaftliche Diskussion um die Netzwerkorientierung befruchtet und auf der professionellenEbene Hilfestellung in der Fortentwicklung von Netzwerken bietet.Besonderer DankDie beiden Herausgeber danken allen neu hinzugekommenen Autoren dieses Bandes für ihre fachlichen Beiträge und die ausgezeichnete Form derZusammenarbeit. Herzlich danken möchten wir auch dem Verlag Beltz Juventa, bei dem wir uns jederzeit gut aufgehoben gefühlt haben.Erfurt und Oelsnitz im Juli 201815
LiteraturBöwer, M./Fischer, J. (2014): Frühe Hilfen nach dem Ende der Bundesinitiative 2015 –Perspektiven im Übergang von der Modellförderung zum Regelangebot. In: Sozialmagazin, 39. Jg., Heft 7–8, S. 88–96.Fischer, J./Geene, R. (2017): Kommunale Modernisierung durch Netzwerke in FrühenHilfen und Gesundheitsförderung. In: Fischer, J./Geene, R. (Hrsg.): Netzwerke inFrühen Hilfen und Gesundheitsförderung – Neue Perspektiven kommunaler Modernisierung. Weinheim: Juventa, S. 8–17.NZFH (2014): Bundesinitiative Frühe Hilfen. Zwischenbericht 2014 mit Stellungnahmeder Bundesregierung. Köln: BZgA.16
Jörg Fischer, Tobias KosellekNetzwerkorientierung in derSozialen Arbeit – eine EinleitungNetzwerkorientierung in der Sozialen ArbeitDie moderne Gesellschaft als von Netzwerken durchzogen zu sehen, ja siesogar als Netzwerkgesellschaft zu beschreiben, ist bei weitem keine neueErkenntnis mehr und soll nicht bereits an dieser Stelle weitere Redundanzenerfahren. Speziell die Soziologie und Netzwerkforschung finden regelmäßigAnschlussstellen für neue Deutungen und Analysen. Doch welches Bild ergibt sich, nimmt man speziell Entwicklungen in der Sozialen Arbeit in denBlick? Wird auch sie von dieser Konjunktur beeinflusst? Sowohl im Sinneeines transdisziplinären Theorieverständnisses der Sozialen Arbeit als auchin der gegenwärtigen Praxis dürften Vernetzungsphänomene auf mehrerenAnalyseebenen von Bedeutung sein.Spricht man von Netzwerken, so kann man sich schnell zahlreicherZuhörer und mannigfaltiger Antworten sicher sein. Der Begriff ist in allenLebensbereichen anzutreffen, jedoch ebenso omnipräsent wie dadurch begriffsleer. Gleichzeitig ist der Gedanke der Vernetzung als eine Grundorientierung Sozialer Arbeit von der institutionellen über die professionelle Ebene bis zum Umgang mit den Adressaten etabliert, ja sogar über dessen historischen Entwicklungsprozess das Fach bestimmend.Die Netzwerkorientierung ist auf den ersten Blick in einer dreifachen Intention zu deuten als: der Netzwerkansatz im Sinne eines theoretischen Ansatzes zur Auftragsbestimmung und Definition Sozialer Arbeit, das Netzwerken als etablierte Form methodischen Handelns und das Netzwerk als neue institutionelle und professionelle HandlungsebeneSozialer Arbeit.Es ergeben sich im Zuge dieser mannigfaltigen Verwendungen des Netzwerkbegriffs immer deutlicher Fragen der Abgrenzung und definitorischenEinengung. Selbstverständlich sind, wenn auch verschiedentlich erfolgreich, zahlreiche Versuche unternommen worden, eben diese Diffusität zudurchleuchten und die Nutzbarmachung der Netzwerkideen in all ihrer Viel17
falt voranzutreiben. Gleichwohl ergibt aus dieser scheinbaren Beliebigkeitund Omnipräsenz die Notwendigkeit einer Bestandsaufnahme zur gegenwärtigen Rezeption und Fortentwicklung des Netzwerkgedankens durch dieSoziale Arbeit.Über dieses BuchAuf diesen grundsätzlichen Intentionen aufbauend sind innerhalb der Sozialwissenschaft und der Reflektion Sozialer Arbeit eine Vielzahl von Perspektiven und Ansätzen erkennbar, die einer zusammenfassenden Darstellungund Bezugnahme bedürfen. Daher soll im vorliegenden Herausgeberbandder Frage nachgegangen werden, was der Netzwerkgedanke gegenwärtigbeinhaltet, wovon er sich derzeit unterscheidet, wie er sich theoretisch fundieren und praktisch verorten lässt. Innerhalb dieses Rahmens ist natürlichvon besonderem Interesse, welche direkten Verbindungslinien zur SozialenArbeit aktuell bestehen bzw. im Verlauf der Professionalisierung SozialerArbeit zu beobachten sind. Welchen Sinn stiften Netzwerke und der Vernetzungsgedanke in der Sozialen Arbeit? Welche ideologischen Anteile beinhaltet die Idee vom Netzwerken? Wozu das Vernetzen? Wie funktionierenNetzwerke? Wovon hängt dieses Funktionieren ab und wie können Netzwerke in ihrem Funktionieren beeinflusst werden? Wie wird mit dem Netzwerkgedanken innerhalb der Sozialen Arbeit umgegangen? Welche Perspektiven ergeben sich aus dieser Verwendung? Welcher Effekt ergibt sichfür die Theoriebildung der Sozialen Arbeit, wenn Netzwerkbegriffe voneinander unterschieden werden und – darauf bestenfalls aufbauend – sich fürdas eine und nicht das andere Netzwerkverständnis in Theorie und Praxisentschieden wird?Der eigene Zugang der Herausgeber zum Netzwerkgedanken in der Sozialen Arbeit ist geprägt von zweierlei: Zum einen erleben wir innerhalbabgeschlossener sowie bestehender Forschungs- und Beratungsprojekte eine mannigfaltige Rezeption der Netzwerkidee sowohl in der Wissenschaft,als auch innerhalb der Praxis und Politik Sozialer Arbeit. Eigene Beispielehierfür lassen sich etwa in der Implementierung von Netzwerken im Kinderschutz, dem Aufbau von lokalen Bildungslandschaften oder den Planungsnetzwerken für eine integrierte Berichterstattung finden. In Anbetracht dieses anhaltenden politischen, fachlichen und wissenschaftlichen Interesses am Netzwerk ist es allerdings verwunderlich, mit welcher geringenTrennschärfe und Inhaltsvielfalt unter gleichzeitig hohem Erwartungsdruckeine Auseinandersetzung mit der Entwicklung, Implementierung und Fortentwicklung von Netzwerken verfolgt wird. Innerhalb dieser Perspektivezeichnet sich dabei aber auch das hohe Potential ab, welches mit der Stärkung von institutionellen, professionellen oder sozialen Netzwerken verbunden ist. Dies verwundert angesichts der damit verbundenen und überaus18
spannenden Frage, wozu denn eigentlich ein derartiger Mangel an Trennschärfe bei gleichzeitigem Boom des Netzwerkbegriffs von Nutzen seinkann. Ist es dem/den Netzwerken zuträglich, wenn Standorte diffus bleibenkönnen?Im Vorfeld der Entstehung dieses Herausgeberbandes wurde den angefragten Autoren nicht nahegelegt, aus welcher theoretischen oder praktischen Position sie argumentieren sollen. Der Mannigfaltigkeit wohl wissendsoll die fehlende Eindeutigkeit absichtlich produktiv genutzt werden unddazu beitragen, die Bandbreite und Facettenvielfalt der reflektiert oder unreflektiert verwendeten Begriffe von Netzwerken oder des Netzwerkens abzubilden. Daher kann es auch nicht Aufgabe der Herausgeber sein, sich abschließend für einen bestimmten Netzwerkbegriff zu entscheiden oder zudiesem hinzulenken.Aufbau des BuchesDen eingangs erwähnten intentionalen Deutungsweisen von Netzwerkenfolgt ein dreiteiliger Aufbau des Bandes. Dies soll es ermöglichen, an diebereits bestehenden Kategorien anzuschließen und diese zu nutzen, zu reflektieren und gegebenenfalls zu verändern. Angesichts der vielfältigen Verwendung des Netzwerkbegriffes und der umfassenden Verfolgung des Netzwerkansatzes in der Praxis erscheint es weder sinnvoll noch machbar, invollständiger Form auf alle Aspekte von Netzwerken und des Netzwerkenseinzugehen. Vielmehr verfolgt dieser Herausgeberband innerhalb einer dreigeteilten Herangehensweise die Idee, anhand ausgewählter theoretischer,methodischer und praxisbezogener Zugänge die zentralen Kennzeichen derDefinitionen, Potentiale und Begrenzungen der Netzwerkorientierung insystematisierter Form herauszustellen.In einem ersten Teil zur theoretischen Verortung von Netzwerken in derSozialen Arbeit wird neben einem Überblick über mögliche Zugänge zuebendiesen die Unterscheidung ermöglicht, Netzwerke als soziale Strukturin der Gesellschaft oder als Semantik zur Selbstbeschreibung zu fassen. DieAutorinnen und Autoren suchen hierbei die Auseinandersetzung mit demNetzwerkbegriff, um diesen Ansatz als Teil der Theoriebildung Sozialer Arbeit zu verdeutlichen. Im einleitenden Teil sind daher Beiträge zusammengefasst, die eine eigene Verortung neben oder gegenüber anderen Funktionssystemen und Nachbardisziplinen ermöglichen. Über gesellschafts- undzeitdiagnostische Fragestellungen hinaus fließen notwendigerweise auchbegriffliche Abgrenzungen ein. Selbst ohne den Anspruch einer vollständigen, alle Facetten des Netzwerkansatzes beleuchtenden Darstellung wird indieser umfassenden Analyse deutlich, welche begrifflichen Differenzen undunterschiedlichen Zugriffe in Verbindung mit dem Netzwerkansatz vorhanden sind. Gleichzeitig kann bei aller Heterogenität aber ein gemeinsamer19
Kern der Betrachtung und ein umfassendes Potential des Netzwerkansatzeszur theoretischen Einordnung pädagogischen Handelns in der Sozialen Arbeit festgehalten werden. Netzwerke erscheinen hierbei als eine konstitutiveBasis zur Analyse Sozialer Arbeit, deren Perspektive auf ihre Umwelt undihrer gesellschaftlichen Verortung.Nach dieser analytischen Betrachtung wird im zweiten Teil speziell dasNetzwerken als methodisches Handeln in der Sozialen Arbeit beleuchtet. ImAnschluss an einen historischen Abriss der Entwicklung des Vernetzungsgedankens erfolgt eine Analyse, wie sich Netzwerke bilden bzw. gebildetwerden. Auf dieser Idee aufbauend, erscheint das Netzwerken als eine Methode zum Gestalten, Führen und Leiten von organisatorischen Einheitensowohl in der Binnenperspektive einzelner Institutionen als auch im Zusammenwirken mehrerer Institutionen der Sozialen Arbeit. Netzwerken alsMethode Sozialer Arbeit wird aber auch als Ansatz dargestellt, mit dem eineVerknüpfung zu anderen Handlungsfeldern jenseits institutioneller SozialerArbeit und mit sozialen Netzwerken möglich ist. Gerade hier zeigen sichdeutliche Potentiale, die einer weiteren Übertragung der Netzwerkidee aufdie spezifischen Bedingungen pädagogischen Handelns in der Erbringungvon sozialen Dienstleistungen bedürfen. Die Unterschiede zwischen institutionellen und sozialen Netzwerken lassen sich dabei nicht immer scharfvoneinander abgrenzen. Vielmehr ist künftig im Hinblick auf die Netzwerkidee von einem Zuwachs an Vernetzungen außerhalb klarer organisatorischer Zuordnungen auszugehen. Es zeichnet sich in den Beiträgen der Autorinnen und Autoren weiterhin ab, welche Möglichkeiten der Problemlösung sich über ein aktives Herstellen oder Verändern von Netzwerken fürdie Soziale Arbeit ergeben. Einen zusätzlichen Wert erfährt das Netzwerkenals Methode in diesem Sammelband neben dem klassischen Aufdecken vonBewältigungsressourcen und Mobilisierungsmöglichkeiten auch durch dieAnalyse von Diagnose- und Reflexionsmomenten.Im dritten Teil werden Netzwerke in ausgewählten Handlungsfeldernder Sozialen Arbeit untersucht. Angesichts der schon skizzierten Potentialevon V
Formen der Problembearbeitung ableiten, die Einfluss auf das Verständnis Sozialer Arbeit haben. Mit der institutionellen und professionellen Einbin-dung in Netzwerke ergibt sich ein erweiterter Analyse- und Arbeitsansatz zur Erreichung gemeinsamer Ziele, der gleichzeitig auch die ei