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Rheuma brauchteine starke StimmeAktionsplan für rheumakrankeMenschen

Rheuma brauchteine starke StimmeAktionsplan für rheumakrankeMenschen23

DankDie Aktualisierung der Inhalte des AktionsplansRheuma erfolgte in einem Workshop im November 2012. Im Anschluss an den Workshop wurdendie Problembeschreibungen und Maßnahmenmit Unterstützung weiterer Experten formuliertund in den Verbandsgremien beraten.Wir bedanken uns bei allen Teilnehmern desWorkshops und allen weiteren Personen, die unsbei der Erstellung des Aktionsplans beraten undunterstützt haben, insbesondere:Gudrun BaselerDeutsche Rheuma-Liga Bundesverband e. V.Dieter BorgmannRheuma-Liga Niedersachsen e. V.Werner DauDeutsche Rheuma-Liga Bundesverband e. V.Dr. med. Frank DemtröderDeutsche Rheuma-Liga Nordrhein-Westfalen e. V.Ulrike EidmannDeutsche Rheuma-Liga Nordrhein-Westfalen e. V.InhaltProf. Dr. med. Wilfried MauMartin-Luther-Universität Halle-Wittenberg e. V.Vorwort6Dr. phil. Uwe Prümel-PhilippsenBundesvereinigung Prävention und Gesundheitsförderung e. V.Einleitung8Prof. Dr. med. Gabriele RiemekastenCharité - Universitätsmedizin BerlinMarion RinkDeutsche Rheuma-Liga Bundesverband e. V.Meike SchoelerRechtsanwältinElke SeibtDeutsche Rheuma-Liga Berlin e. V.Rotraut Schmale-GredeDeutsche Rheuma-Liga Bundesverband e. V.Dieter WiekDeutsche Rheuma-Liga Bundesverband e. V.Prof. Dr. rer. pol. Angela ZinkDeutsches Rheuma-ForschungszentrumRheuma: Handeln, bevor es zu spät ist10Aufklärung, Prävention und Früherkennung können viele schwereKrankheitsverläufe verhindern.Rheuma: Die richtige Hilfe zur rechten Zeit14Die Behandlung rheumakranker Menschen umfasst viele Facetten:Medikamente, Bewegungstherapie, Operationen, Hilfsmittel.Teamwork zwischen allen ist gefragt.Rheuma: Hürden im Alltag abbauen34Menschen mit Rheuma wollen am ganz normalen Leben teilnehmen.Dazu sind noch viele Hürden abzubauen.Forschung für Rheuma: Ursachen finden,Heilung ermöglichen, Teilhabe verbessernProf. Dr. med. Erika Gromnica-IhleDeutsche Rheuma-Liga Bundesverband e. V.Die Forschung muss Rheuma heilbar machen. Dazu sind noch vieleAnstrengungen nötig.Heinrich GroschRheuma-Liga Hessen e. V.Adressen der Landes- und Mitgliedsverbände5058Prof. Dr. Dieter GrunowUniversität Duisburg-EssenHelga JänicheDeutsche Rheuma-Liga Bundesverband e. V.Ulf JacobDeutsche Rheuma-Liga Nordrhein-Westfalen e. VDr. Frieder LeistnerDeutsche Rheuma-Liga Sachsen e. V.45

In Deutschland sind ca. 20 Millionen Menschenvon Erkrankungen des Bewegungsapparates betroffen. In einer älter werdenden Gesellschaftwird diese Zahl weiter zunehmen. Schmerzen, körperliche Funktionseinschränkungen, Verlust anLebensqualität, bei schwereren VerlaufsformenBehinderung und sogar verringerte Lebenserwartung kennzeichnen die vielfältigen Erscheinungsformen des Rheumas.VorwortVorwortVorwortRheuma kann jeden treffen: Kinder, Jugendliche,Menschen im Berufsleben oder ältere Bürger.Die Deutsche Rheuma-Liga kümmert sich alsgrößte Selbsthilfeorganisation im Gesundheitswesen um die Verbesserung der gesundheitsbezogenen Lebenssituation dieser Menschen. 2005wurde von uns erstmals ein Aktionsplan Rheumaerstellt. Darin sind Politiker sowie die Akteure imGesundheitswesen aufgefordert worden, durchgezielte Maßnahmen die Lage der Rheumakranken zu verbessern.Seit dieser Zeit hat es viele gesundheitspolitischeVeränderungen gegeben. Ein neues Versorgungsstrukturgesetz hat Rahmenbedingungen vorgegeben. Ein Patientenrechtegesetz ist auf den Weggebracht und anderes mehr. Nach 8 Jahren haben wir die Situation rheumakranker Menschenerneut analysiert. Neue Forderungen an Politik,Leistungserbringer und Kostenträger haben sichergeben, die im Aktionsplan Rheuma eindeutigbenannt sind.Wir hoffen sehr, dass der hier vorliegende Aktionsplan Rheuma 2013 auf das gleiche große Interesse stoßen wird wie der 2012 veröffentlicheAktionsplan für rheumakranke Kinder und Jugendliche, damit die Lebensqualität für alle rheumakranken Menschen verbessert wird.Prof. Dr. med. Erika Gromnica-IhlePräsidentin der Deutschen Rheuma-LigaBundesverband67

Einleitunge ntzündlich-rheumatische Erkrankungen (zumBeispiel rheumatoide Arthritis, Morbus Bechterew, Kollagenosen, Vaskulitiden, juvenileidiopathische Arthritis)d egenerative Gelenk- und Wirbelsäulenerkrankungen (Arthrosen und Spondylosen) Weichteilrheumatismus (Fibromyalgiesyndrom)S toffwechselerkrankungen mit rheumatischenBeschwerden (Osteoporose, Gicht)Die Erkrankungen verlaufen in der Regel chronisch fortschreitend. Dabei ist nicht nur das Skelett betroffen – es können auch innere Organein Mitleidenschaft gezogen werden. Die meistendieser Erkrankungen sind äußerst schmerzhaft.Sie verlaufen schubweise, führen zu nicht-bakteriellen Entzündungen und schließlich zur fortschreitenden Zerstörung von Gelenken (rheumatoideArthritis) oder zur Versteifung der Wirbelsäule(Morbus Bechterew).8Bei den Kollagenosen und Vaskulitiden, wie demsystemischen Lupus erythematodes, können dieOrganbeteiligungen lebensbedrohlich sein.In der Regel sind die Erkrankungen nicht heilbar. Etwa zwei Prozent der erwachsenen Bevölkerung leiden an chronischen entzündlich-rheumatischen Erkrankungen. Allein an rheumatoiderArthritis sind in Deutschland etwa 800.000 Menschen erkrankt – Frauen sind dabei etwa dreimalhäufiger betroffen als Männer.Degenerative Gelenk- und Wirbelsäulenerkrankungen wie Arthrose sind weit verbreitet.Insgesamt geben 27 % der Frauen und 18 % derMänner an, dass bei ihnen jemals eine Arthroseärztlich diagnostiziert wurde. Frauen sind signifikant häufiger als Männer betroffen. Die Schädigung des Gelenkknorpels wird meist ausgelöstdurch Über- oder Fehlbelastung der Gelenke. Typisch sind starke Schmerzen und teilweise schwere Bewegungseinschränkungen.Das Fibromyalgiesyndrom ist eine häufig auftretende, chronisch verlaufende Schmerzerkrankung.3,5% der Bevölkerung sind betroffen. Überwiegend sind es Frauen, aber auch Männer und Kinder können erkranken.Zu den Stoffwechselerkrankungen mit rheumatischen Beschwerden werden Osteoporose undGicht gezählt. Bei der Osteoporose ist der Knochenstoffwechsel gestört: Die Knochen werdeninstabil und anfällig für Brüche. Osteoporose entsteht unter anderem als Folge von entzündlichemRheuma. 17 % der Patienten mit rheumatoiderArthritis hat nach den Daten der Kerndokumentation der regionalen Rheumazentren eine Osteoporose.Auch junge Menschen erkrankenVeränderungen sind notwendigRheumatische Erkrankungen betreffen nicht nurältere Menschen. Zwar steigt gerade bei dendegenerativen Formen und der Osteoporose dieZahl der Betroffenen mit dem Lebensalter, dochentzündliches Rheuma und Fibromyalgie könnenjeden treffen. In Deutschland leiden schätzungsweise 20.000 Kinder und Jugendliche unter 18Jahren an einer chronischen entzündlich-rheumatischen Erkrankung! Aufgrund der besonderenAnforderungen an die Versorgung rheumakrankerKinder und Jugendlicher wurde für diesen Bereichein eigener Aktionsplan erarbeitet, der im Internet unter www.rheuma-liga.de nachzulesen ist.Rheumatische Erkrankungen sind schwer zu diagnostizieren und bedeuten für viele Betroffeneeine Odyssee von Arzt zu Arzt. Oft vergehen Jahrebis zur Diagnose. Die Versorgung rheumakrankerMenschen ist zurzeit durch Unter- und Fehlversorgung gekennzeichnet, obwohl nachgewiesenist, dass eine frühe, gute Versorgung die bestenChancen bietet, die Erkrankung zu bekämpfenund Behinderungen zu vermeiden.Einschränkungen gehören zumAlltagDie Diagnose einer rheumatischen Erkrankungführt zu einschneidenden Veränderungen im Leben der Betroffenen. Meist gehören dauerhafteSchmerzen, Bewegungs- und Funktionseinschränkungen, Müdigkeit und eine ständigeMedikation zum Alltag – und das oft ein Lebenlang. Viele Erkrankte müssen sich beruflich neuorientieren oder in Rente gehen. Hinzu kommender Verlust an Lebensqualität und die erheblicheingeschränkte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Viele Rheumatiker haben außerdem mit demUnverständnis ihrer Umwelt zu kämpfen – insbesondere, wenn die Erkrankung nicht sichtbar ist.EinleitungIn Deutschland sind etwa zwanzig Millionen Menschen von einer rheumatischen Erkrankung betroffen. „Das Rheuma“ gibt es nicht, stattdessenviele verschiedene Erkrankungen des rheumatischen Formenkreises, die in vier Hauptgruppenunterteilt werden:Rheuma belastet nicht nur den Einzelnen,sondern auch die Volkswirtschaft. Bereits heuteverursachen muskuloskelettale ErkrankungenBehandlungskosten in Höhe von 28 MilliardenEuro. Und: Muskuloskelettale Erkrankungen führen die Statistik der Arbeitsunfähigkeitstage an.Daher ist es dringend erforderlich, die medizinische Versorgung und Rehabilitation rheumakranker Menschen zu verbessern. Dazu gehört auch,die Erforschung der Erkrankungen und der Therapiemöglichkeiten weiter voranzubringen.Viele Schritte sind notwendig, um die Situationrheumakranker Menschen zu verbessern. Jede einzelne Maßnahme trägt zum Ergebnis bei. Rheuma braucht Veränderung – dafür steht der Aktionsplan Rheuma.9

Noch immer stehen die rheumatischen Erkrankungennicht im Fokus von Präventionsmaßnahmen.PräventionRheumatische Erkrankungen stellen in ihrer Vielfalt und in ihren Krankheitsverläufen unterschiedliche Anforderungen an die Prävention. DasHauptaugenmerk liegt darauf, Erkrankungen frühzu erkennen. Die sekundäre und tertiäre Prävention zielt darauf ab, die Auswirkungen derKrankheit (funktionelle und strukturelle Schädenund eingeschränkte gesellschaftliche Teilhabe) zumindern und Folgekrankheiten zu verhindern.In Deutschland fehlt noch immer ein Präventionsgesetz, das alle Bereiche der Prävention gleichberechtigt berücksichtigt.Prävention steigert die Lebensqualität undträgt wesentlich dazu bei, Behandlungs- undKrankheitsfolgekosten zu reduzieren. Das istumso wichtiger, als der Anteil älterer Menschenan der Gesamtbevölkerung und damit auch dieZahl chronisch kranker Menschen steigt. Es ist damit zu rechnen, dass mit der Alterung der Gesellschaft vor allem Erkrankungen wie Arthrose undOsteoporose aber auch entzündliche rheumatische Erkrankungen wesentlich zunehmen werden.Bisher werden jedoch weder bei der Primär- nochbei der Sekundär- oder Tertiärprävention alle Möglichkeiten ausgeschöpft.Das ist zu tun: Der Gesetzgeber muss ein Präventionsgesetz vorlegen,mit dem Prävention als gesamtgesellschaftliche Aufgabedefiniert wird und die unterschiedlichen Aufgaben koordiniert werden.Aktiv gegen Rheumaschmerz Die Bundesregierung und die Krankenkassen müssenbei der Ausweitung von Präventionsmaßnahmen dieSekundär- und Tertiärprävention gleichberechtigt nebender Primärprävention berücksichtigen.11Rheuma: Handeln, bevor es zu spät istRheuma: Handeln, bevores zu spät ist

Rheuma: Handeln, bevor es zu spät istBehinderungen und KrankheitsfolgenvermeidenDie Ursachen vieler rheumatischer Erkrankungen sind noch nicht erforscht. Bei einigen gibtes inzwischen jedoch zumindest Hinweise aufmögliche Risikofaktoren: Neuere Forschungsergebnisse zeigen zum Beispiel, dass Raucher beientsprechender genetischer Veranlagung wesentlich gefährdeter sind, an rheumatoider Arthritiszu erkranken, dass der Verlauf schwerer ist undtherapeutische Maßnahmen weniger wirksamsind. Übergewicht und Fehlbelastungen erhöhendas Risiko, eine Arthrose zu entwickeln. Bei einerIst die rheumatische Erkrankung bereits aufgetreten, muss ihr Verlauf durch Maßnahmen derSekundär- und Tertiärprävention positiv beeinflusst werden. Eine solche Beeinflussung istmöglich: Folgekrankheiten entzündlicher rheumatischer Erkrankungen, zum Beispiel Osteoporoseund Arteriosklerose, können durch gezielte undfrühzeitige Therapien vermieden werden. Begleiterkrankungen, wie Arteriosklerose, sind ein wesentlicher Faktor für eine verkürzte Lebenserwartung.Adipositas ist außerdem der Verlauf einer rheumatoiden Arthritis ungünstiger. Umgekehrt gilt esmittlerweile als erwiesen, dass eine ausgewogene Ernährung und regelmäßige Bewegung ganzwesentlich zur Vermeidung von Osteoporose unddegenerativen Gelenk- und Wirbelsäulenerkrankungen beitragen.Auf diese Zusammenhänge wird zurzeit viel zuselten hingewiesen. Präventionskampagnen,die zur Vermeidung von Risikofaktoren aufrufen,thematisieren bisher nur Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes und übertragbare Krankheiten.Rheuma: Handeln, bevor es zu spät istRheumatische Erkrankungen durchAufklärung verhindernBei den entzündlichen rheumatischen Erkrankungen sind zudem Behinderungen mit den darausresultierenden Folgen für die Erwerbsfähigkeitund die Teilhabe am Leben in der Gesellschaftdurch eine konsequente frühe Therapie oftvermeidbar. Daher müssen im Rahmen einer komplexen, alle Bereiche abdeckenden medizinischenund rehabilitativen Versorgung die erforderlichenMaßnahmen koordiniert erbracht werden. Wasdas im Einzelnen bedeutet, wird im nächsten Kapitel beschrieben.Das ist zu tun:Das ist zu tun:D ie Initiatoren von Präventionskampagnen, wie die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BzgA), müssen rheumatischeErkrankungen bei Präventionskampagnen besser berücksichtigenund Patientenverbände, wie dieDeutsche Rheuma-Liga, bei derKonzeption einbeziehen.12 Kassenärztliche Vereinigungen, Ärztekammern, Fachgesellschaften, Berufsverbände und Krankenkassen müssendazu beitragen, dass Ärzte besser über die Sekundärerkrankungen bei den entzündlichen rheumatischen Erkrankungeninformiert sind. Ärzte müssen in der Therapie die Vermeidung von Folgeerkrankungen besser berücksichtigen. Krankenkassen und Ärzte müssen Therapien, die geeignetsind, Behinderungen zu vermeiden und Krankheitsfolgen zumindern, stärker einsetzen und fördern.13

Rheuma: Die richtige Hilfe zur rechten ZeitRheuma: Die richtige Hilfezur rechten ZeitVerschleppte Diagnosen, zu wenig Rheumatologen undSchnittstellenprobleme in der Versorgung bewirken eineFehlversorgung der erkrankten Menschen. Die Versorgungim Bereich Heil- und Hilfsmittel oder der medizinischenRehabilitation ist unzureichend.Rechtzeitige Therapie hilftOperationen vermeidenMedizinische Versorgung undRehabilitation besser verzahnenZur medizinischen Versorgung rheumakrankerMenschen tragen viele Akteure bei: Primärärzte, Fachärzte, aber auch eine Vielzahl von nichtärztlichen Therapeuten und Experten und nichtzuletzt die Selbsthilfe. Sie alle müssen eng zusammenarbeiten, damit die Diagnose der Erkrankung, die medizinische Versorgung und die Rehabilitation rheumakranker Menschen gelingen.Viele rheumatische Erkrankungen sind schwer zudiagnostizieren und bedeuten für die Betroffeneneine Odyssee von Arzt zu Arzt. Bis die Diagnose gestellt ist, können Jahre vergehen. Das istumso dramatischer, als gerade für rheumatischeErkrankungen gilt: Je früher eine zielgerichtete Therapie vorgenommen wird, desto höher dieWahrscheinlichkeit, dass der Verlauf der Erkrankung gemildert, verlangsamt oder im günstigstenFall zum Stillstand gebracht werden kann.Verbesserte Zusammenarbeit nötigIm deutschen Sozialsystem gehen zahlreicheDefizite in der Versorgung auf die mangelndeZusammenarbeit der Leistungserbringerund auf Schnittstellenprobleme zwischen den verschiedenen Sozialversicherungsbereichen zurück.Trotz aller Beteuerungen von Seiten der Politikund der Leistungsträger orientiert sich die Be-handlung oft nicht an Bedarf und Bedürfnissenchronisch erkrankter Menschen. Stattdessen sindmeist die Bedingungen der einzelnen Versorgungssektoren (ambulant, stationär und Rehabilitation) und die dort vorhandenen Leistungsanreize ausschlaggebend.15

Rheuma: Die richtige Hilfe zur rechten ZeitRegelungen, die die Zusammenarbeit von Hausund Fachärzten erleichtern sollen, werden in derPraxis oft nicht umgesetzt. Auch im Rahmenvon Selektivverträgen werden meist nur die Versorgungsmaßnahmen einbezogen, die Einspareffekte versprechen. Eine umfassende koordinierte Versorgung wird selten gewährleistet. Esbesteht außerdem die Gefahr, dass neben denbereits vorhandenen sektoralen Barrieren je nachRegion und Kassenzugehörigkeit zusätzliche Unterschiede in der Versorgung entstehen.Der Gesetzgeber hat die Ambulante Spezialfachärztliche Versorgung (ASV) für dieschweren Verläufe rheumatischer Erkrankungeneingeführt. Diese bietet die Chance, eine vernetzte Versorgung für Betroffene zu realisieren. Aus Sicht der Rheuma-Liga geht es nundarum, die vorhandenen Qualitätsstandards derSpezialambulanzen (Ambulanzen nach § 116bSGB V) zu erhalten. Es muss der Gefahr vorgebeugt werden, dass die ASV zu einem weiterenSektor mit Versorgungsgrenzen wird. Aus Sichtder Rheuma-Liga gilt es, die Zusammenarbeitder Leistungserbringer aller Bereiche so zuverbessern, dass eine koordinierte Versorgungauch außerhalb von Selektivverträgen und ASVdie Regel wird.16Das ist zu tun:K rankenkassen und Leistungserbringer müssen unter Beteiligungder Selbsthilfe eine komplexe Versorgung der Patienten gewährleisten. Dabei müssen alle Versorgungsbereiche (Haus- und Fachärzte, Krankenhäuser, Rehabilitationseinrichtungen, Physiotherapeuten, Ergotherapeuten, Selbsthilfe und andere mehr) einbezogenwerden.H aus- und Fachärzte müssenbesser zusammenarbeiten. Diegesetzlich vorgesehenen Möglichkeiten zum Informationsaustausch zwischen Haus- und Fachärzten müssen von den Ärztengenutzt werden.D er Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) muss die AmbulanteSpezialfachärztliche Versorgungso ausgestalten, dass eine qualitativ hochwertige koordinierte Versorgung an einem Ort für Rheumakranke mit schweren Verlaufsformen und seltenen Erkrankungengewährleistet ist.Der derzeitige Stand der ärztlichen Ausbildung für den Bereich Rheumatologie ist unzureichend. Das führt dazu, dass Primärärzte nichtausreichend über die rheumatischen Erkrankungen informiert sind. Nach wie vor existiert eineReihe medizinischer Fakultäten in Deutschland,an denen Rheumatologie gar nicht oder nurdurch Einzelpersonen in untergeordneter Funktion gelehrt wird. Außerdem stagniert der Umfangder rheumatologischen Lehre seit dem Jahr 2002.Die praktische Ausbildung umfasst rund sechsStunden, in denen im Median drei bis fünf Patienten von den Studierenden untersucht werden.Das reicht bei weitem nicht aus, um die Auszubildenden an das Fach Rheumatologie heranzuführen. Auch Hausärzte fühlen sich im Fach Rheumatologie sowohl während ihres Studiums als auchin ihrer Weiterbildung deutlich schlechter ausgebildet als in den meisten anderen internistischenFächern. Dies führt zur Unsicherheit bei derBehandlung von Patienten mit entzündlichrheumatischen Krankheitsbildern.Da deutschlandweit an nur sieben medizinischenFakultäten Rheumatologie im Rahmen unabhängiger Lehrstühle verankert ist, entscheidensich außerdem zu wenige Studierende für dieseFachrichtung. Da selbst Großkliniken häufig keine Abteilung für Rheumatologie haben, spieltRheumatologie auch in der Weiterbildungvieler junger Ärzte keine Rolle. In Kliniken derMaximalversorgung sollte Rheumatologie daherimmer vertreten sein, sei es direkt oder in Kooperation mit rheumatologischen Akutkliniken. Ohneein funktionierendes Weiterbildungssystem drohtein langsames Aussterben der internistischenRheumatologen mit untragbaren Folgen für dieRheuma: Die richtige Hilfe zur rechten ZeitGute Aus- und Weiterbildungder Ärzte sichernVersorgung. Viele zur Weiterbildung zum Rheumatologen ermächtigte Fachärzte führen keineWeiterbildungen durch, da der Stellenplan derKlinik keine Einstellung von Weiterbildungsassistenten erlaubt und niedergelassene Fachärztedurch die Beschäftigung von Weiterbildungsassistenten finanzielle Nachteile haben. So schlossenim Jahr 2010 nur noch 57 Ärzte erfolgreich eineWeiterbildung in internistischer oder orthopädischer Rheumatologie ab. Acht Jahre zuvor warenes noch 119. Diesem Trend wirkt die pharmazeutische Industrie derzeit mit Stipendien entgegen.Aus Sicht der Deutschen Rheuma-Liga ist diesbedenklich und stellt keine langfristige Problemlösung dar. Vielmehr müssen zur Lösung des Problems strukturelle Maßnahmen an Universitätenund Kliniken getroffen werden.Problematisch ist auch die zu geringe Berücksichtigung konservativer Aspekte in derWeiterbildung zum Facharzt für Orthopädie undUnfallchirurgie. Seit der Zusammenführung vonOrthopädie und Unfallchirurgie ist die Weiterbildung in diesem Fach stark an den chirurgischenSchwerpunkten des Fachs ausgerichtet. Sie bildetdamit aber keine gute Grundlage mehr für einespätere Tätigkeit als niedergelassener Arzt fürOrthopädie mit einer im Wesentlichen konservativen Ausrichtung.17

Rheuma: Die richtige Hilfe zur rechten ZeitDas ist zu tun: Die Landesregierungen und Universitäten müssen die Zahl der Lehrstühle für internistische Rheumatologie erhöhen. Die Landesregierungen und Universitäten müssen dafür sorgen, dassdie Rheumatologie an allen medizinischen Fakultäten in obligatorischenBlockpraktika und Vorlesungen in angemessenem Umfang gelehrt wird.An jeder medizinischen Fakultät muss die Rheumatologie zusätzlich alsWahlfach angeboten werden. Dabei müssen alle Bereiche der Erkrankungen des rheumatischen Formenkreises gelehrt werden. Die rheumatologische Ausbildung muss Rheumatologen obliegen. Die Rheumakliniken und die niedergelassenen Ärzte müssen eineausreichende Anzahl von Weiterbildungsstellen für die Rheumatologiezur Verfügung stellen. Der Gesetzgeber muss die Finanzierung der Mehrkosten von Klinikenund Arztpraxen für die Weiterbildung von Ärzten durch öffentlicheMittel sicherstellen. Hausärzte, Orthopäden, Pädiater und andere Primärärzte sollen dieMöglichkeit erhalten, regelmäßig an industrieunabhängigen Fortbildungen zu den Erkrankungen des rheumatischen Formenkreises teilzunehmen. Die Bundesärztekammer muss die Weiterbildung für den Bereich derkonservativen Orthopädie durch eine Änderung der Musterweiterbildungsordnung für den Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie verbessern.18Eine frühzeitige korrekte Diagnose und einrechtzeitiger Einsatz der Therapie sind vonhoher Bedeutung für den weiteren Krankheitsverlauf und können diesen positiv beeinflussen.Der Zeitraum zwischen den ersten Symptomenund der konkreten Diagnose ist bei vielen rheumatischen Erkrankungen noch zu lang.Bei der rheumatoiden Arthritis dauert es nachden Daten der Kerndokumentation der regionalen Rheumazentren im Mittel 13 Monate bis zumErstkontakt mit dem internistischen Rheumatologen, bei Morbus Bechterew sogar mehr alsvier Jahre. Besondere Probleme bestehen bei denseltenen rheumatischen Erkrankungen, die viel zuoft nicht erkannt werden. Beim systemischenLupus erythematodes wird der internistischeRheumatologen nach 1,6 Jahren, bei anderenKollagenosen sogar erst nach 1,8 Jahren hinzugezogen.Gründe für diese Defizite beim Zugang zurspezialisierten Versorgung sind vor allem zulange Wartezeiten auf Termine bei den internistischen Rheumatologen. In vielen rheumatologischen Praxen und Ambulanzen wird inzwischenversucht, durch Frühsprechstunden eine frühere Diagnosestellung zu erreichen. Dort könnenBetroffene mit Verdachtsdiagnosen schnell einenTermin erhalten. Frühsprechstunden sind inzwischen zwar verstärkt eingerichtet worden, aberRheuma: Die richtige Hilfe zur rechten ZeitSchnellere Diagnose und Therapiefür entzündliche rheumatische Erkrankungen sichernlängst noch nicht flächendeckend. Neben derAusweitung ist auch eine Weiterentwicklungdes Zugangs zu den Frühsprechstundendringend nötig. Denn Primärärzte überweisen oftnicht nur Früharthritiden, sondern auch andereSchmerzerkrankungen.Ursache für den schlechten Zugang zum internistischen Rheumatologen ist nicht nur das Wissensdefizit bei den Primärärzten: Es gibt bundesweiteinfach zu wenige internistische Rheumatologen. Nach dem Bundesarztregister der KBVwurde die ambulante fachärztliche VersorgungEnde 2010 durch 539 niedergelassene Fachärztefür Innere Medizin und Rheumatologie, durch 127für die internistische Rheumatologie ermächtigte Krankenhausärzte sowie 497 niedergelasseneFachärzte für Orthopädie mit ZusatzbezeichnungRheumatologe und 97 entsprechend qualifizierteermächtigte Krankenhausärzte durchgeführt. DasMemorandum der Deutschen Gesellschaft fürRheumatologie geht davon aus, dass mit diesenZahlen die tatsächlich zur Verfügung stehendenpersonellen Kapazitäten deutlich überschätztwerden. Das von der Deutschen Gesellschaft fürRheumatologie geforderte Verhältnis von mindestens einem internistischen Rheumatologen auf50.000 erwachsene Einwohner wird nicht einmalin Ballungsgebieten erreicht.19

Das ist zu tun:Rheuma: Die richtige Hilfe zur rechten ZeitRheuma: Die richtige Hilfe zur rechten Zeit Rheumatologische Schwerpunktpraxen undAmbulanzen müssen für Betroffene mit derVerdachtsdiagnose einer entzündlich-rheumatischen Erkrankung kurzfristig einen Terminzur Abklärung der Diagnose und gegebenenfalls Einleitung der Therapie anbieten. Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV)und die Krankenkassen müssen die Vergütungder Behandlung so gestalten, dass die Erstuntersuchung und Therapieeinleitung angemessen vergütet werden.Insbesondere in den östlichen Bundesländernmüssen unzumutbare Fahr- und Wartezeiten in Kauf genommen werden. Ermächtigungenvon Klinikärzten und Sonderbedarfszulassungenwerden viel zu selten von den Zulassungsausschüssen ausgesprochen. Die Ermächtigungenerfolgen zudem überwiegend mit einem Überweisungsvorbehalt von Fachärzten auch bei Folgevorstellungen. Diese Anforderung führt zu einemunnötigen bürokratischen Aufwand für die Betroffenen und zusätzlichen Kosten für die Versichertengemeinschaft.Um den Zugang zur spezialisierten Versorgung bei den entzündlichen rheumatischenErkrankungen zu verbessern, sind folgendeSchritte notwendig:20 Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA)muss die Regelungen zum Sonderbedarf konkretisieren, um die Zulassung von Rheumatologen zu erleichtern. Krankenkassen und Kassenärztliche Vereinigungen müssen die Zahl der niedergelasseneninternistischen Rheumatologen wesentlich erhöhen. Ziel muss ein internistischer Rheumatologe pro 50.000 erwachsene Einwohner sein. Krankenkassen und Kassenärztliche Vereinigungen müssen Ermächtigungen von Klinikenuneingeschränkt aufrechterhalten und beiBedarf ausbauen, um die bestehende rheumatologische Versorgung zu sichern. Krankenkassen und Kassenärztliche Vereinigungen müssen die Restriktionen bei denÜberweisungsanforderungen für die Krankenhausambulanzen abschaffen.21

Rheuma: Die richtige Hilfe zur rechten ZeitDie stationäre Versorgung von Rheumapatienten sollte in rheumatologischen Akutkliniken erfolgen, die die Möglichkeiten der Versorgungdurch ein multidisziplinäres Team gewährleisten. Der Verband rheumatologischer Akutklinikenhat spezielle Anforderungen an die Qualität derRheumakliniken definiert. Weiterhin senkt diemultimodale rheumatologische Komplexbehandlung in den Fachkliniken die Krankheitsaktivitätund verbessert die Prognose. Diese bewährte Behandlungsform können nur Rheumakliniken gewährleisten. Allzu häufig erfolgt die Versorgungrheumakranker Menschen jedoch in Klinikenohne entsprechende Spezialisierung.Das ist zu tun:D ie einweisenden Haus- undFachärzte müssen rheumakrankeMenschen in rheumatologischenFachkliniken und -abteilungenüberweisen.Versorgung mit Medikamenten undHeilmitteln verbessernEin wesentliches Element der Versorgung entzündlich-rheumatischer Erkrankungen ist diemedikamentöse Therapie. Hier hat es im vergangenen Jahrzehnt erhebliche Fortschritte gegeben. Werden die heute verfügbaren Basismedikamente und die neuen so genannten Biologikafrühzeitig eingesetzt, können die Autoimmunerkrankungen bei einem großen Teil der Betroffenen zum Stillstand gebracht oder wesentlichverlangsamt werden. Funktionseinschränkungen22und Behinderungen können so weitgehend vermieden werden. Bei vielen Betroffenen wird diese Möglichkeit jedoch nicht ausgeschöpft,weil die Therapie zu spät begonnen wird oder dieeingesetzten Medikamente bei Therapieversagennicht rechtzeitig durch andere ersetzt werden. Vorallem bei einer Versorgung ohne kontinuierlicherheumatologische Mitbetreuung erhalten wenigerals die Hälfte der Patienten eine Basistherapie.Die mangelhafte Versorgung führt nicht nurfür die Betroffenen zu vermeidbaren Einschränkungen und Behinderungen: Volkswirtschaftlichbetrachtet ergeben sich enorme Folgekosten.So brauchen Patienten, die medikamentös unterversorgt sind, früher und häufiger Gelenkersatz,was für die Betroffenen eine hohe Belastung darstellt und für die Gesellschaft zusätzliche Kostenbedeutet. Vor allem die Kosten infolge von früherErwerbsminderung und Pflegebedürftigkeit sindfür die Sozialversicherungssysteme enormhoch.Die Deutsche Gesellschaft für Rheumatologie hatzusammen mit anderen wissenschaftlichen Fachgesellschaften und der Rheuma-Liga eine interdisziplinäre S3-Leitlinie zur Therapie der frühenrheumatoiden Arthritis erarbeitet. Diese definiert unter anderem Standards für eine evidenzbasierte Therapie und wann eine Überweisungan den Facharzt nötig ist. Diese Leitlinie mussbesser bekannt gemacht und angewendet werden. Auch die Handlungsempfehlungen zursequenziellen medikamentösen Therapie der RAder wissenschaftlichen Gesellschaft (S1-Leitlinie)müssen in der Praxis besser umgesetzt werden.Die Deutsche Rheuma-Liga fordert eine eng kontrollierte und an das Stadium der Krankheitsaktivität angepasste Behandlung der rheumatoidenArthritis. Nur so kann eine Remission der Erkrankung, zumindest aber eine niedrige Krankheitsaktivität erreicht werden.Die Kerndokumentation der regionalen Rheumazentren aus dem Jahr 2011 zeigt erhebliche Ver-Rheuma: Die richtige Hilfe zur rechten ZeitVersorgung in spezialisierten Klinikensicherstellensorgungsdefizite auch bei nicht-medikamentösen Therapien im ambulanten Bereich.Danach haben zum Beispiel nur 22 Prozent dervon rheumatoider Arthritis Betroffenen ambulanteine Krankengymnastik erhalten, Ergotherapiewurde nur bei zwei Prozent und Rheuma-Funktionstraining bei vier Prozent der Betroffenen verordnet. Dabei gehört die Bewegungstherapie zuden elementaren Bausteinen der Behandlung.Sie dient dazu, Entzündungsprozesse in den Gelenken und die daraus resultierenden Behinderungen und Funktionseinschränkungen zu verhindern beziehungsweise zu mindern. Ergotherapieist ebenfalls ein wesentlicher Bestandteil der Versorgung. Durch Schienenversorgung, Anleitung inder Nutzu

Deutsche Rheuma-Liga Sachsen e. V. Prof. Dr. med. Wilfried Mau Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg e. V. Dr. phil. Uwe Prümel-Philippsen Bundesvereinigung Prävention und Gesundheits-förder