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BachelorarbeitDer Pflegeprozess – oft beschrieben nie ges(ch)ehen?Adrian, JörgMatrikelnummer: 17-663-543Brutschi, NicoleMatrikelnummer: 17-663-642Departement GesundheitInstitut für PflegeStudienjahr: G.BA.PF.17 dipl.Eingereicht am: 12.04.2019 12:00 UhrBegleitende Lehrperson: Ruhmann, Doris

InhaltsverzeichnisAbstract . 41Einleitung . 51.1Geschichte der Pflege . 51.2Entstehung des Pflegeprozesses . 91.3Der Pflegeprozess heute . 121.4Problemstellung . 152Fragestellung. 182.1Zielsetzung . 183Theoretischer Hintergrund . 193.1Theoretischer Bezugsrahmen . 193.2Begriffsdefinitionen. 204Methode . 224.1Suchstrategie . 224.2Ein- und Ausschlusskriterien . 234.3Flussdiagramm der Suche . 244.4Beurteilungen der Studien . 255Resultate . 265.1Zusammenfassung der Ergebnisse. 286Diskussion . 346.1Limitationen . 377Schlussfolgerungen . 387.1Praxistransfer . 387.2Offene, weiterführende Fragen . 39Adrian, Jörg; Brutschi, Nicole2

8Verzeichnisse . 408.1Literaturverzeichnis . 408.2Abbildungsverzeichnis . 448.3Tabellenverzeichnis . 448.4Abkürzungsverzeichnis . 449Anzahl der Wörter . 4510Danksagung. 4611Eigenständigkeitserklärung . 4712Anhang . 4812.1Tabellen . 4812.2AICA Hilfstabellen . 49Adrian, Jörg; Brutschi, Nicole3

AbstractDie Implementierung des Pflegeprozesses ist auch gut 20 Jahre nach der Einführung inder Schweiz immer noch nicht genügend in der Praxis umgesetzt. Im Rahmen einer systematisierten Literaturrecherche mit Berücksichtigung des EBN sollten die Methoden gefunden werden, die den Pflegeprozess in der Praxis nachhaltig und konstruktiv implementieren.Ergebnis: Wird der Erwerb von Berufserfahrung gefördert, die Fort und Weiterbildung anErfordernisse angepasst, die Haltung der Pflegenden unterstützt und der Austausch desPflegewissens gefördert, kann der Pflegeprozess auch nachhaltig und konstruktiv in derPraxis umgesetzt werden.Die Suche förderte neben diesen Methoden zutage, dass die Einführung des Pflegeprozess eine internationale Schwierigkeit bildet. Ebenso betont sie, dass der Pflegeprozessfür die Entwicklung der Profession der Pflege einen wichtigen Eckpfeiler darstellt.Keywords: nursing process, Implementation, profession in nursingAdrian, Jörg; Brutschi, Nicole4

1EinleitungIn der Literatur (Brobst, Brock & Georg, 2007; Doenges et al., 2014; Lunney, Börger &Georg, 2007; Mason & Attree, 1997) wird von mehreren Fachleuten für Pflege beschrieben, dass die Einführung und Umsetzung des Pflegeprozesses (PP) von Beginn an mitHerausforderungen und Schwierigkeiten von Seiten der Pflegenden behaftet war.Viele Pflegende verknüpfen ihr Berufsfeld damit, unmittelbar am Patienten körperliche Arbeit zu verrichten und dabei die Interventionen abzuarbeiten. Die patientenferne Arbeit vonDokumentation und Pflegeplanung wird dabei als Zeiträuber erlebt, nicht als ein Mittel umProbleme lösungs- und patientenorientiert anzugehen. (Brobst et al. 2007)Um zu verstehen wo die Pflege heute steht, ist ein Blick in die Vergangenheit erforderlich.1.1Geschichte der PflegeBereits im Zeitalter der frühen Menschheit (ca. 10'000 v. Chr.) lebten die Leute in einemGesundheits-Krankheits-Kontinuum. Sie waren gezwungen eine Möglichkeit zu finden,ihre Gesundheitsschäden zu verhindern und zu beheben, um ihre Art zu erhalten und sichfortpflanzen zu können. Diese Menschen lebten vorwiegend als Jäger und Bauern undmussten ihre Verletzungen und Erkrankungen ähnlich wie Tiere, meist instinktiv oder reflektorisch behandeln. Wunden wurden ausgesaugt oder mit Speichel befeuchtet, Fremdkörper wurden herausgesaugt oder herausgebissen, schmerzende Stellen wurden gerieben, geknetet, gekühlt oder gewärmt. Es wird davon ausgegangen, dass die Heilung vonVerletzungen ohne anschliessende Pflege nicht möglich war, und die Pflege durch die Angehörigen vorgenommen wurde. Es galt damals, dass gewisse Krankheiten als Strafen oder von Dämonen ausgelöst angesehen wurden. Besondere Zeremonien wurden zelebriert, um Krankheiten zu diagnostizieren oder therapieren. (Metzger, 1998)Die Völker Mesopotamiens (ca. 2000 – 600 v. Chr.) waren der Annahme, dass Krankheitals Strafe der Götter für Ungehorsam angesehen wurde, gleichzeitig besassen sie einemathematisch orientierte Wissenschaft. Das Krankheitsgeschehen wurde durch genaueBeobachtungen der Lebensweisen der Kranken festgehalten. Um dem bereits bekanntenPhänomenen der Ansteckung vorzubeugen, wurden Kranke isoliert, Wasserklosetts undAbwasserkanäle angelegt. Im alten Ägypten (ca. 2000 – 1200 v. Chr.) war der behandelnde Arzt verpflichtet, auf die Umgebung und Bedürfnisse des Kranken Rücksicht zunehmen. Innerhalb der Familie übernahmen die Frauen und deren Nachbarinnen diePflege der Kranken. (Metzger, 1998)Adrian, Jörg; Brutschi, Nicole5

Von den Griechen (750 – 300 v. Chr.) zeugt der Äskulapstab, der bis heute als Symbol fürden ärztlichen Beruf gilt und vom Gott Asklepios stammt. Viele Tempel wurden Asklepiosgeweiht, welche als physische und seelische Heilstätten wie auch als Ärzteschulen genutzt wurden. Neben Krankenzimmern und Operationsräumen gab es auch Badeanlagen,Fitnessräume und Theater. Die griechische Philosophie hatte einen wesentlichen Einflussauf die Entwicklung der Heilkunde. Es wurde versucht die Entstehung von Krankheiten aufder Basis von Naturgesetzen zu erklären. Die Elemente- und Säftelehre blieb unter derBezeichnung «Humoralpathologie» bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts Grundlage derMedizin. Sie war die Grundvoraussetzung für das Handeln des Arztes und verpflichteteihn, den Kranken genau zu beobachten. (Metzger, 1998)Die Römer (750 v. Chr. – 500 n. Chr.) kannten zunächst keine richtigen Heilkundigen oderÄrzte wie die Griechen. Die versklavten Griechen brachten die Heilkunde ins RömischeReich. Der Arzt hatte die Pflicht möglichst schnell und angenehm zu heilen. Dabei legtensie Wert auf Diäten, Gymnastik, Baden und Wein als Heilmittel. Chronisch Kranke oderUnheilbare überliess man ihrem Schicksal. (Metzger, 1998)Im frühen Christentum ab (30 n. Chr.) entstand ein neues Pflegeverständnis auf der Basisvon Nächstenliebe, die Diakonie. Der selbstlose Dienst am hilflosen Nächsten für GottesLohn galt als Maxime und dieser Gedanke ist bis heute erhalten. Seit 325 n. Chr. hattendie Bischöfe die Pflicht öffentliche Krankeneinrichtungen zu gründen. (Metzger, 1998)Im Mittelalter (500 n. Chr. – 1500 n. Chr.) entstand als neue Lebensform das gemeinschaftliche Klosterleben, hauptsächlich entlang von Pilgerstrassen, und meistens widmeten sich die Nonnen der Krankenpflege. Die Kreuzzüge (11. – 13. Jahrhundert) solltenhauptsächlich die heiligen Stätten in Palästina sowie die Pilger schützen, und den christlichen Glauben gegen die islamischen Türken, welche Jerusalem erobert hatten, verteidigen. Laut der Kirchenpolitik handelte es sich um einen «heiligen, gerechten und gottgefälligen» Krieg. Aus den Klosterschulen gingen als neue Bildungsstätten, die späteren Universitäten hervor. Die Mönche wurden an ihre geistlichen Pflichten verwiesen, für Ärzte wurdeein Staatsexamen eingeführt. Frauen wurden aus der Medizin ausgeschlossen, und konnten nur noch in der Krankenpflege tätig sein. Im gesamten Mittelalter wurde die Pflege undBehandlung der Kranken von den «weisen» Frauen oder Hebammen übernommen. Siebesassen ein Wissen, das sie über Generationen hinweg anhäuften. Die Kirche des Spätmittelalters sah in diesen Frauen auch Teufelsanbeterinnen und Hexen, ihr Wissen gingbei den Hexenprozessen verloren. (Metzger, 1998)Adrian, Jörg; Brutschi, Nicole6

Im Spätmittelalter nahm die Bevölkerung sprunghaft zu, was zu grossen Problemen in derGesundheitsvorsorge führte. In Europa brach 1348 die Pest aus. Die Kirche und die Medizin standen der Seuche hilflos gegenüber, die Gesellschaft musste sich selbst helfen. Abdem 14. Jahrhundert durften medizinische Behandlungen nur noch von zugelassenen Ärzten durchgeführt werden. Diese delegierten jedoch die Durchführung der Behandlung andie Pflege. Damit entstand ein Grundproblem in der Krankenversorgung, das bis heute besteht. Die unklare Begrenzung der beiden Berufsfelder der meist weiblichen Pflegepersonen gegenüber der Stellung der Ärzte, die anfänglich nur bei Bedarf gerufen wurden. Denchristlichen Ärzten waren chirurgische Interventionen verboten worden, da die Kirche keinBlut vergiesst. Als wichtigste Errungenschaft der mittelalterlichen Heilkunst gelten die Hygieneregeln. (Metzger, 1998)Ab dem 16. Jahrhundert (in der Renaissance) änderte sich die Einstellung der Menschen,dass die Erkrankung nicht mehr als Strafe Gottes anzusehen sei, sondern wurde dem Erkrankten als persönliche Schuld an Krankheiten zugewiesen. Durch Ausbruch und Ausbreitung von Syphilis wurde diese Einstellung noch verstärkt. Kranke waren wieder aufsich selbst oder ihre Familien angewiesen. Erkrankte suchten Klöster und Hospitäler auf,die durch die Kriege oft zerstört waren, und somit hoffnungslos überfüllt waren. Unter Ludwig XV. entstanden Arbeits-, Zucht- und Tollhäuser sowie weitere Einrichtungen um «Asoziale» aus den Hospitälern fernzuhalten und zur Arbeit anzuhalten. Oft wurden in diesenInstitutionen die Pflege von den arbeitsfähigen Insassen übernommen. Die Motivation zurPflege sank, Nonnen und Mönche blieben den Klöstern fern, es entstand eine Unterversorgung an Pflegekräften. In deutschen Städten wurden aus tieferen Gesellschaftsschichten Leute zum Pflegen eingestellt. Deren Interesse war jedoch gering, und sie waren oftunehrlich, unzuverlässig und desinteressiert bei der Arbeit. (Metzger, 1998)Im 18. Und 19. Jahrhundert spitzte sich die Lage in der Gesundheitsversorgung weiterhinzu. Die Krankenpflege kam in ihre grösste Krise, die bis ins 19. Jahrhundert unverändertbestehen blieb. Durch die Ausbreitung ansteckender Krankheiten wie Malaria, Typhus, Tuberkulose und Fleckfieber erkannte die Medizin die Notwendigkeit die Bevölkerung überPrävention zu informieren. Dies geschah zum ersten Mal in der Geschichte schriftlich.(Metzger, 1998)Auf einer Reise 1851 lernte Florence Nightingale, die aus einer gehobenen englischenSchicht stammte, die deutsche Schwesternschaft kennen und absolvierte die damals dreimonatige Ausbildung zur Krankenschwester. Nach der Ausbildung arbeitete sie in einemAdrian, Jörg; Brutschi, Nicole7

gehobenen englischen Krankenhaus und später übernahm sie die Leitung der Lazaretteim Krimkrieg. 1860 gründete sie in London ein Ausbildungssystem, das sich wesentlichvom deutschen System unterschied: Die Schule war unabhängig vom Krankenhaus unddiente nur der Ausbildung. Die Ausbildung diente nur der stationären Krankenpflege. DieSchulleitung war eine gewählte Oberin, kein Arzt. Die Krankenpflege ist ein anerkannter,erlernter Frauenberuf ohne kirchlichen Einfluss, und dauerte 1 Jahr mit 2 Fortbildungsjahren. Die Unterrichtenden wurden bezahlt. (Metzger, 1998)In der Industrialisierung im 19. Jahrhundert war die Schweizer Bevölkerung zu einer einschneidenden zeitlichen und örtlichen Trennung zwischen Erwerbsarbeit und Familienleben konfrontiert. Die Massenarmut war in den Jahren 1840 – 1860 am Grössten und dasalte Sozialgefüge konnte keine adäquate Integration aller Gesellschaftsschichten mehr gewährleisten. Gesundheit und vernünftige Lebensführung erschienen damit als eine derhöchsten sozialen Normen. Krankheit und soziales Elend erhielten das Stigma eines individuell verschuldeten Normverstosses. Durch die Revolution in der Medizin konnten in derzweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine grosse Anzahl von Krankenhausneugründungenerfolgen. Anfangs des 19. Jahrhunderts existierten zwei verschiedene Organisationstypenvon Pflegepersonal: die katholischen, ordensähnlichen Kongregationen gegenüber denprotestantischen, Lohnwärter innen-System. 1863 wurde das Schweizerische Rote Kreuz(SRK) gegründet und es sollte sich in Friedenszeiten der Ausbildung von geeignetem Personal sowie die Bereitstellung der nötigen Mittel zur Pflege von Kranken und Verwundetenwidmen. Ab 1903 wird das SRK eidgenössische Zentralinstanz für das Ausbildungswesenin der Krankenpflege. Verschiedene Spitäler unterhielten eigene Krankenpflegeschulen.Um 1900 wurde der «Schweizerische Krankenpflegebund» (SKB) ins Leben gerufen, baldmit dem Charakter einer eigentlichen Berufsorganisation. Die Rekrutierung von Lernendengestaltete sich schwierig, vor allem aus den oberen Schichten, da der Beruf der Pflegerinein sehr schlechtes Image besass. Um 1925 setzten sich SRK und SKB für Spezialisierungslehrgänge ein. Die Stellung des Arztes wurde von den Krankenpflegerinnen kaumkritisch hinterfragt. Weibliche Berufskrankenpflege bedeutete zu Beginn des 20. Jahrhunderts strenge Unterordnung und extremste Ausbeutung. Dies erklärt auch, weshalb sichnur wenige Frauen für die Erlernung des Krankenpflegeberufes interessierten. (Fritschi,1990)In der Schweiz herrschten von1860 – 1930 sehr prekäre Zustände, bedingt durch neuemedizinische Technologien und die Strukturierung des Gesundheitsmarktes, welche abAdrian, Jörg; Brutschi, Nicole8

1890 zum Tragen kamen. In den Jahren 1860 – 1890 dominierte die ambulante Pflege, inden Spitälern wurden hauptsächlich Arme behandelt. Von 1890 – 1914 wurden durch dieneuen medizinischen Technologien die Spitäler etabliert, was die professionelle Positionierung der Ärzteschaft dazu veranlasste, verschiedene Privatkliniken zu gründen. Die Zeitvon 1914 – 1930 war durch verschiedene Massnahmen geprägt, die den Gesundheitsmarkt regulieren sollten und die Konkurrenz zwischen den Spitälern eindämmten. (Joris,2012)In den 1950-er Jahren war der Mangel an qualifiziertem Pflegepersonal enorm und erreichte 1957 sein Maximum. 1956 wurde ein Normalarbeitsvertrag für das Pflegepersonalgeschaffen mit einer 54-Stundenwoche, vorher waren es über 60-Wochenarbeitsstunden.Gleichzeitig beantragte die Vereinigung Schweizerischer Krankenanstalten (VESKA, später in H umbenannt) die Schaffung einer neuen Berufskategorie der Spitalgehilfin, eineeinjährigen Ausbildung. Der Beruf wurde 1958 reglementiert, war eher eine gehobeneHausangestellte als eine mindere Schwester. 1959 wurde die Ausbildung der Hilfspflegerinmit 1,5 – 2 Jahren Ausbildung geschaffen, der theoretische Unterricht dauerte maximal 58Stunden. Das SRK wurde mit der Ausarbeitung der Ausbildungsprogramme beauftragt.Erst 2002 kann mit der Fachangestellten Gesundheit (FaGe) ein Berufsabschluss unmittelbar an die obligatorische Schulzeit absolviert werden; die Ausbildungen wurden unter dieAufsicht des Bundes gestellt. (Oertle & Hiedl, 2012) Der SBK wurde 1978 durch den Zusammenschluss dreier Berufsverbände gegründet. (Braunschweig, 2010) Der Personalmangel in der Pflege ist seit dem 20. Jahrhundert ein grosses Thema und wird auch in Zukunft eine grosse Herausforderung sein. Ob die Bildungsreformen der letzten Jahre zuneuen und besseren Antworten führen, als die Schaffung von Hilfskategorien wird sich zeigen. (Oertle & Hiedl, 2012)1.2Entstehung des PflegeprozessesDer Pflegeprozess wurde ab 1950 von verschiedenen Pflegetheoretiker innen entwickelt.1950 begann Lydia Hall mit Hilfe der Arbeit von Carl Rogers eine Theorie zum Verhaltender Pflegenden im Umgang mit den Patienten zu entwickeln. Hierbei kamen den Pflegenden zu verschiedenen Krankheitsstadien der Erkrankten andere Aufgaben zu. In der Akutphase unterstützen Pflegende die ärztlich Tätigen, folgten deren Anordnungen. In der folgenden Phase der Pflege sollten die Pflegenden autonom Handeln, um den im Heilungsprozess befindlichen Personen auf deren Weg zu unterstützen. In diesen Lehr- und Lernprozess war die Kommunikation sehr wichtig, damit die Betroffenen sich der eigenenAdrian, Jörg; Brutschi, Nicole9

Bedürfnisse bewusst werden konnten. Pflegende als «kleine Ärzte» seien laut Lydia Hallnicht erforderlich, denn Pflege hat ein eigenständiges professionelles Feld. Der Prozess,um diese Bedürfnisse zu entdecken, war die Geburtsstunde des Pflegeprozesses. Hilfspflegende waren dabei nicht erwünscht.Ida Jean Orlando postulierte 1961, dass im Verhalten der Erkrankten ein Schrei nach Hilfeenthalten sei. Diesen aufzuspüren befähigt die Pflege die Hilfe anzubieten, die benötigtwird. Die Kommunikation war wieder von grosser Bedeutung.Die Menschen treffen die Pflege oft über den Zugang der Medizin an. Nach DorotheaOrem wird die Pflege dort wirksam, wo Menschen aus sich selbst heraus nicht in der Lageseien, die anstehende Selbstpflege zu bewältigen. Ida Jean Orlando entwarf einen analytischen Kommunikationsprozess der helfen sollte, diesen Kern zu entdecken und den resultierenden Bedürfnissen erfolgreich zu begegnen.Helen Yura und Mary B. Walsh stellten 1967 weiter ein Modell des Pflegeprozesses vor.Ihre Arbeiten stützten sich auf pflegetheoretische Ansätze sowie auf die Erkenntnisse ausder Systemtheorie, der Kybernetik und der Entscheidungstheorie.Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hatte dann 1974 auf Grundlage des vierphasigenModells von Yura und Walsh den Pflegeprozess als Bestandteil der pflegerischen Arbeitfestgelegt. Er gilt heute noch als eine der wenigen weltweit etablierten Arbeitstechniken inder professionellen Pflege.Das vierphasige Modell des Pflegeprozesses wurde von der WHO verwendet undpropagiert (siehe Abbildung 1: Vier-Phasen-Modell nach WHO, in Schewior-Popp,Abbildung 1: Vier-Phasen-Modell nach WHOJuchli & Schön, 2012). Die vier Phasen sindPflegebedarf, Pflegeplan, Intervention undEvaluation. Klassifizierte Pflegediagnosen können hier in der zweiten Phase eingesetztwerden, mit denen eine standardisierte Benennung des Pflegebedarfs und die Zuordnungvon Pflegetätigkeiten ermöglicht wird. Das Modell erlaubt aber auch individuelle Formulierungen von Pflegeproblemen in Fällen, in denen eine Diagnosestellung nicht möglich odernicht landesüblich ist.1970 wurde der Pflegeprozess in Grossbritannien politisch verordnet.Adrian, Jörg; Brutschi, Nicole10

1980 definierte die American Nurse Association (ANA), dass die Pflegediagnose diemenschliche Reaktion auf ein Gesundheitsproblem sei. Die Bedeutung einer eigenständigen Pflege wurde hiermit weiter hervorgehoben. Das war die Geburt der NANDA Pflegediagnosen. Abbildung 2 zeigt das fünfphaAbbildung 2: Fünf-Phasen-Modell nach NANDAsige Modell, eine von der NANDA erweiterteVersion des WHO-Modells. Es wird vorwiegend in Nordamerika angewendet und enthältals zusätzlichen Schritt nach dem Assessment die Phase der Diagnose. Aus den gewonnenen Informationen aus der ersten Stufe soll in die neu geschaffene Stufe eine Pflegediagnose aufgestellt werden. Der Zweck dieser Erweiterung war die Betonung auf die Bedeutung von fundierten Pflegediagnosen und deren Anwendung im Pflegeprozess, um sogenauere Pflegemassnahmen zu ermöglichen. Die Abrechnung und Evaluation pflegerischer Interventionen wurde erleichtert.In Europa erfolgt die Entwicklung des Pflegeprozesses langsam, unsystematisch und nichteinheitlich. Der Pflegeprozess wurde 1985 in die Krankenpflegausbildungen in Deutschland aufgenommen. Die Pflegediagnosen nach NANDA wurden in Deutschland 1990 eingeführt. In Österreich wurde der Pflegeprozess 1997 als Bestandteil des beruflichen Handelns in das Gesundheits- und Krankenpflegegesetz integriert. In Deutschland wurde derPflegeprozess 2003 als Unterrichtsinhalt in der Altenpflegeausbildung verankert.In der Schweiz veröffentliche Liliane Juchli denfp zhL h b ch „Kkpf“auf Grundlage von Virginia Hendersons Theorie.Verena Fiechter und Martha Meier griffen 1981das Konzept auf und entwickelten daraus einsechsphasiges Modell, das sie als erste deutschsprachige Literatur zum Pflegeprozess (Pflegeplanung: Eine Anleitung für die Praxis, 1981) veröffentlichten. Der Regelkreis (siehe Abbildung 3)liegt dann vor, wenn alle Schritte des Prozessesdurchlaufen wurden und die Pflegeperson bei derAbbildung 3: Sechs-Phasen-Modell nach Fiechter& MeierAdrian, Jörg; Brutschi, NicoleÜberprüfung der Pflegeziele, die Wirkung der11

Pflegemassnahmen festgestellt werden. Dieses Modell will einen individuell auf bestimmtePatient innen oder Pflegebedürftige bezogenen Pflegeplan auf Basis eines induktivenProzesses erstellen, wobei ausgehend von den erhaltenen Informationen Rückschlüsseauf die zugrundeliegenden Pflegeprobleme erfolgen.Pflegewissenschaftliche BedeutungDie Dauer, Reihenfolge, Überlappung und Begriffe der einzelnen Phasen des Pflegeprozesses können variieren. Sie können trotzdem identifiziert, untersucht und analysiert werden. Im vierphasigen Modell können in der zweiten Phase Pflegediagnosen sowohl mit alsauch ohne Klassifizierungssystem eingesetzt werden. Das fünfphasige Modell sieht denEinbau einer Pflegediagnose explizit vor. Das sechsphasige Modell nach Fiechter undMeier sieht durch den anderen Aufbau keine Pflegediagnosen beziehungsweise pflegewissenschaftlich basierte taxonomische Klassifikationen nach NANDA Taxonomie II, NIC oderNOC vor. Die Pflegekraft muss also die aus der Informationssammlung erkannten Pflegeprobleme eigenhändig beschreiben und entsprechende Pflegemassnahmen zuordnen. Diefreien Formulierungen von Pflegediagnosen erschweren eine einheitliche Abrechnung, wieauch den Datenaustausch zwischen den Institutionen. Die Kommunikation bei einer Verlegung oder die Verwendung der Pflegedokumentation zu statistischen oder pflegewissenschaftlichen Studien ist erschwert. (Juchli, 2000)1.3Der Pflegeprozess heuteDer Pflegeprozess heute stellt ein systematischen Problemlösungsverfahren dar, das vonPflegefachpersonen im Rahmen ihrer Interaktion mit Patient innen und / oder Familien angewendet werden kann. Mit ihm wird der Pflegebedarf beurteilt, die pflegerische Unterstützung geplant und durchgeführt, sowie ihre Wirksamkeit überprüft. Dabei ist der Pflegeprozess immer sowohl ein Beziehungsprozess als auch ein Problemlösungsprozess. DerPflegeprozess als Beziehungsprozess ist der gesamte zwischenmenschliche Umgang zwischen der Pflegeperson und Patient innen. Der Pflegeprozess als Problemlösungsprozess ist auf die Beseitigung der Probleme der Patient innen auf der Grundlage pflegerischen Handelns ausgerichtet. (Abderhalden, 2011)Sinn und Zweck des PflegeprozessesDer Pflegeprozess bildet das Kernstück der professionellen Pflege. Der PP individualisiertdie Pflege. Pflegegrundlagen werden transparent gemacht und sichert eine kontinuierlichePflege. Er verbessert die die Organisation der Pflege für Patient innen. Der PflegeprozessAdrian, Jörg; Brutschi, Nicole12

bietet die Möglichkeit die Pflege zu evaluieren. Die Effizienz kann gesteigert werden. DiePatient innen werden aktiv in die Pflege miteinbezogen. Der PP ist für die Pflegendeneine Rechtssicherheit und dient als Argumentationsgrundlage. Die Pflegequalität wirddurch die Dokumentation überprüfbar. Der PP erleichtert die Kommunikation und vertieftdas Pflegeverständnis. Die Professionalisierung wird erhöht durch den Einbezug von Wissen der Pflegewissenschaften in ein Gebiet mit Handlungsautonomie. Er ist eine wissenschaftliche, systematische, zielgerichtete, kontinuierliche, dynamische Methode der Pflegezur Problemlösung. (Abderhalden, 2011)Beispiel für den Pflegeprozess anhand des Regelkreises nach Fiechter & MeierDer Regelkreis nach Fiechter & Meier besteht aus den sechs Schritten.Assessment (Einschätzung, Informationssammlung, Pflegeanamnese)Die Datensammlung kann direkt durch Beobachten, spontane Aussagen, Anamnesegespräche oder indirekt durch Auskunft von Drittpersonen, Aufnahmeformulare, medizinischeAnamnese oder Arztberichte erfolgen. Es sollen nur pflegerelevante Daten erhoben werden. (Abderhalden, 2011)Diagnose (Erkennen von Problemen und Ressourcen des Patienten)Die gewonnen Informationen werden gebündelt und zu einer präzisen Beurteilung pflegerisch relevanter Aspekte des Gesundheitszustandes und Gesundheitsverhaltens von Patient innen verdichtet. Pflegediagnosen fassen zusammengehörige und miteinander in Beziehung stehende Einzelinformationen auf einer abstrakten Ebene zusammen. Die Ressourcen der Patient innen und / oder seines Umfeldes, welche für die Lösung der aktuellen Pflegeprobleme relevant sind, werden ermittelt. Der Experte für seine subjektivenProbleme und Ressourcen ist immer der/die Patient in und allenfalls seine/ihre nächstenAngehörigen. Dabei soll zwischen den aktuellen und den potenziellen Problemen unterschieden werden. Aktuelle Probleme liegen tatsächlich vor, sind beobachtbar und messbar. Potenzielle Probleme werden durch die Pflegende abgeschätzt bzw. vorhergesehen.Erkannte potenzielle Probleme können so bereits im Vorfeld verhindert und durch präventive Massnahmen entgegenwirken. Ausgehend von den gesammelten Patientendatenkann eine individuelle diagnostische Aussage formuliert werden im PES-Format (Problemtitel, Einflussfaktor, Symptom/Merkmal). (Abderhalden, 2011)Der ursprüngliche Gedanke von Fiechter & Meier war, keine Pflegediagnose nach NANDAzu formulieren. Die Pflegeprobleme sollten individuell auf die zu Pflegenden abgestimmtAdrian, Jörg; Brutschi, Nicole13

sein. Die Pflegediagnosen nach NANDA sind wissenschaftlich basiert. Diese Diagnosenkönnen eindeutig formulieren und international ausgetauscht werden.Pflegeziele/PlanungAls dritter Schritt im PP werden die Pflegeziele und angestrebte Ergebnisse ausgehandeltund festgelegt. Es soll ein kollaborativer Prozess sein: Zuständige Pflegende, Patient in,Angehörige und andere Mitglieder des Behandlungsteams arbeiten zusammen. Die Pflegeziele müssen realistisch, erreichbar, überprüfbar und patientenorientiert sein. Die Pflegeziele können das Verhalten, Wissen, Können, Entwicklung und/oder den Zustand derPatient innen beschreiben, es kann auch ein messbarer Befund bezeichnet werden. DieZiele sind so kurz und knapp wie möglich zu formulieren, aber für alle, an der Pflege Beteiligten verständlich sein. (Abderhalden, 2011)Pflegemassnahmen/InterventionenDie Interventionen, mit denen die gesetzten Ziele erreicht werden sollen, werden ausgewählt. Die Planung der Pflegemassnahmen orientiert sich an den formulierten Pflegeproblemen, den Ressourcen sowie den Zielen der Patient innen. Die Massnahmen können alseigentliche Pflegeverordnungen, die eingehalten und kontrolliert werden müssen, betrachtet werden. Die Formulierung der Pflegeziele soll konkrete Massnahmen beschreiben, mitdenen man das gesetzte Ziel am besten zu erreichen hofft oder die sich bisher für diesenPatienten als wirkungsvoll erwiesen haben. Die Art, die Quantität, die zeitlichen Abständeder Massnahen müssen angegeben werden. (Abderhalden, 2011)DurchführungDie Durchführung der Pflege, die geplanten Pflegemassnahmen werden in die Praxis umgesetzt. Die Vorgaben des Pflegeplanes sind für alle weiteren pflegerischen Handlungenverbindlich. Die Anwendungen müssen einheitlich, konstant und zielorientiert erfolgen.Pflegende nutzen ihre Fachkompetenz, ihre Sozial- und Selbstkompetenz um Pflegemassnahmen entsprechend den formulierten Standards einer Institution umzusetzen, und sichdabei an der höchstmöglichen Evidenz zu orientieren. Im Kontext der Pflege ist evidencebased nursing (EBN) wissensbasierte Pflege. EBN ist die Nutzung der derzeit besten wissenschaftlich belegten Erfahrungen im Arbeitsbündnis zwischen Pflegebedürftigen undprofessionellen Pfl

1.1 Geschichte der Pflege Bereits im Zeitalter der frühen Menschheit (ca. 10'000 v. Chr.) lebten die Leute in einem Gesundheits-Krankheits-Kontinuum. Sie waren gezwungen eine Möglichkeit zu finden, ihre Gesundhe